Grape & Jan
Seiten der Wichtigsten
Die
Seiten der Wichtigsten waren in der näheren Vergangenheit des
Conne Island eine alljährliche Bestandsaufnahme der verschiedenen
Musikgenres im CEE IEH.
1 Kulturelle, ästhetische und politische
Entwicklungen in den jeweiligen Sparten sollten damit einer kurzen Analyse
unterzogen werden, um damit auch die kulturelle Ausrichtung des Conne Island
inhaltlich transparenter zu machen. Den letzten Versuchen, einstmals viel
versprechenden »Subkulturen« auch inhaltlich Rechnung zu tragen,
folgte aufgrund der immer offensichtlicher werdenden Trennung der Musik von
Kritik und politischem Inhalt der Verzicht auf diese Reihe ab dem Jahr 2003.
Zwar sollte dem Conne Island nach wie vor daran gelegen sein, bestimmte
rückwärtsgewandte Entwicklungen in Kunst und Kultur konstant zu
thematisieren, jedoch lassen sich die politischen Diskussionen und deren
Auswirkung auf Musik schon lange nicht mehr nur auf bestimmte Mikrokosmen
beschränken.
Somit haben sich inhaltliche Auseinandersetzungen im kulturellen Gewand auf
Reaktion und Intervention gegen geistige Entgleisungen reduziert und
können und müssen mittlerweile genreübergreifend geführt
werden. Genauso allumfassend muss demnach leider immer noch eine generelle
Analyse über »Subkulturen« ausfallen.
Dennoch machen wir uns hier anlässlich des Conne Island-Jubiläums die
Mühe und lassen einige der Sparten und spezifischen Musikkulturen noch
einmal Revue passieren.
Drum & Bass
In England Anfang der neunziger Jahre sind die Wurzeln von Drum & Bass zu
finden. Jungle als unmittelbarer Vorreiter entstand als schnellere Mixtur aus
Ragga, Hip Hop und elektronisch gebrochenen Breaks & Beats und fand in den
Kellern und Clubs der britischen Metropolen sein verdientes Zuhause. Die Unruhe
und ständigen Wechsel dieser Art von Clubmusik spiegelten auf sonderbare
Art und Weise die urbane Großstadtästhetik wieder und dienten
gleichzeitig als zeitweilige Flucht aus ihrem immer gleichen Rhythmus. Aus dem
eher dreckigeren, von extremen Brüchen gekennzeichneten
»Underground«-Sound wurden allmählich auf schnellerem Tempo
basierende, weniger breakreichere Tracks, die plötzlich und schlagartig an
die Oberfläche sämtlicher Tanzoberflächen stiegen.
Die scheinbare »Verblödung« und »Beliebigkeit«
von sonstiger Clubmusik gab Drum & Bass eine Steilvorlage, in einer damals
für »Subkulturen« noch so hoffnungsvollen Zeit das neue
extrovertierte und innovative Clubding zu werden. Dazu kam eine Entwicklung,
die die größere Musikindustrie aufhorchen ließ. So richtig
geknallt hat es dennoch nie. Dagegen sprach auch die radikale
Soundästhetik von Drum & Bass, gespickt mit scharfen Ecken und Kanten,
die eine neue Art musikalischer Kompromisslosigkeit prägten.
Drum & Bass erwies sich weiterhin als Musik, die Aggressivität und
Deepness vereinen konnte und zur schnellsten und trotzdem tanzbarsten Art des
Schwitzens avancierte.
All diese Breaks samt Subsparten hatten jedoch über die Jahre das Problem,
mehr Wert auf Exklusivität und Einzigartigkeit zu legen als auf
ästhetische Erkenntnis und Weiterentwicklung. Zwar fegte Drum & Bass
weiter in verschiedene funkige, poppige, düstere und auch wieder mehr
junglige Richtungen, dennoch scheint die Szene sich selbst in ihrer Isolation
zu geißeln und erklärt damit ihr progressives Moment selbst zu
Vergangenheit. In England scheint dies aufgrund der Größe der so
genannten »Crowd« noch zu funktionieren: dort ist die Musik
popular im bestens Sinne. Hierzulande scheint das Interesse jedoch eher
rückläufig zu sein. Noch zu erwähnen sind die florierenden
Nischen des Break- und Noisecore, die sich zwar auch breakreich aber dennoch
eher technoid und generell vielseitig eine kleine aber feine Gemeinde erspielt
haben.
HÖREN: GOLDIE /// HIGH CONTRAST /// PARADOX /// KEMISTRY & STORM ///
DROP THE LIME
Dub
Dub scheint neben Reggae einer der konstantesten Nischengenres der Popkultur zu
sein. Dub ergötzt sich an einem effektgeladenen relaxten Sound, der sich
vereinfacht als Reggae ohne Gesang - Vocals mehr als Effekt und Sound benutzend
- beschreiben lässt. Hier wurde schon immer Musikgeschichte geschrieben.
Sämtlichen musikalischen Entwicklungen zum Trotz gibt sich Dub dennoch als
LiebhaberInnen-Musik unauffällig bescheiden. Dub muss dazu noch ganz klar
als wichtigster und dennoch unbeachteter Einfluss für sämtliche
Spielarten aller aktuellen elektronischen Musik geltend gemacht werden. Dieser
unbeachtete Einfluss auf den gegenwärtigen Club im Allgemeinen, wird vom
Genre selbst gelassen und deep hingenommen.
Dub hält sich zwar nach wie vor nah am Reggae auf, glänzt aber
gleichzeitig mit auffälligem Gegenwartsbezug. Dem entsprechend gibt es
Dubtech genauso wie Dubstep als aktuelle Variationen des Dub, der damit an
zeitgemäßer elektronischer Musik entlang sich wiederum dezent seinen
einstigen Einfluss zurückerobert und sich das Aktuelle zu Nutzen macht.
HÖREN: LEE »SCRATCH« PERRY /// ROCKER HIFI /// SLY &
ROBBIE /// ZION TRAIN
Techno / House / Minimal / Rave
Die elektronische Ära der munteren Musikproduktion eroberte schnell
sämtliche Tanzflächen dieser Welt. Nach Disco kam House samt Techno,
Acid und verschiedenster Subgenre die sich parallel zur Eroberung schnell
sämtliche Szenen, Clubs und Drogen untereinander aufteilten. Dass
rückblickend angenehme an diesem Genre war und ist die Reduzierung der
ganzen Inszenierung von Clubmusik auf pures Vergnügen und temporäre
Befriedigung individueller Bedürfnisse. Fernab von fehlgesteuerten
bedeutungsschwangereren Aussagen und nervigen Predigten sind House und Techno
zwar prädestiniert für kulturelle Auswüchse wie die Loveparade
und andere arg peinliche Dorf-Raves; sie sicherten dadurch jedoch auf der
anderen Seite schon immer angenehm sinnfreies nächtliches Vergnügen
am richtigen Ort zur richtigen Zeit. So ist es eines der wenigen Musikgenres,
das mit Abstrichen sowohl den »getuneten« Dorfdrops und die
»besserwissende«
Spex-Leserin (gibt's die noch?)
ästhetisch zusammenzubringen vermag. Die klar formulierte Funktion zur
Reproduktion des sonstigen Lebens scheint gesichert. Vom Underground-Kellerkind
zur Großraumdisko samt esoterischer Ausflüge in Wald und Wiesen
(Goa) schien die musikalische Entwicklung Ende der neunziger Jahre zu
stagnieren. Der eigentlichen Sinn aber, keinen Sinn für technoides
Housevergnügen zu benötigen, verhalf dennoch zum Ausweg hin zur
derzeit wohl innovativsten Art des Clubbens. Wo andere Jugendkulturen in ihrer
Krise vergebens auf der Suche nach ständig neuen Legitimationsgründen
verhaftet blieben, konnten Techno und House musikalisch weiterdenken. Denn im
Club oder in der Großraumdisko funktioniert es eigentlich noch genauso
wie immer.
HÖREN: MARSHALL JEFFERSON /// ROBERT HOOD /// RICARDO VILLALOBOS /// DAFT
PUNK
Headz / Electronica / IDM / New Jazz
Die so genannte intelligente elektronische Musik entstand als Gegenpart zum
puren Gebrauchsgehalt von Techno. Eigentlich auf dem starren Dancefloor
sozialisiert, sollte mit vertrackten und komplexen musikalischen Strukturen der
»Kopf« zurückgegeben bzw. zurückgeholt werden.
Das hedonistische Lebensgefühl, das sich sonst nur auf Schweiß und
Bassdrum reduzierte, schien dieser Ansammlung von Soundtüftlern zu wenig.
Den elektronischen Klangerzeugern wurde die verspielte Melodie beigebracht und
dem ewigen Loop wurde ein aufwendig zerhackter Beat entgegengestellt.
Einflüsse aus verschiedensten Stilrichtungen wie Hip Hop, Dub und Indie
verschmolzen mit Techno zu einer Melange, die in der scheinbar immer mehr und
mehr verblödendenden Love-Parade-Generation ein Hoffnungsschimmer für
viele »Intelligenz-ClubberInnen« zu sein schien. Zumeist aus
England kommende Labels wie
Mo Wax,
Ninja Tune oder auch
Warp
Records glänzten mit einem ungemeinen hohen und anspruchsvollen Output
an neuer innovativer Clubmusik zum Hören. Selbst die Fehde zwischen Techno
und Gitarre konnte musikalisch beigelegt, da gleichsam Strukturen des Rock in
Trip Hop und ähnlichem Einzug hielt.
Dem allgemeinen Boom der elektronischen Breaks und Beats im Blick,
betätigten sich zeitgleich andere an der Postmodernisierung alter
Musikgattungen wie Jazz, Funk und Soul. Der »authentischen« Musik
von damals sollte ein zeitgenössischer, hipper Anstrich verpasst werden.
Daraus entstand NuJazz. Nicht umsonst verkam jenes Genre immer mehr zum
Easylistening und nebst Trip Hop zum Soundtrack von Reiseberichten und zur
Standardbeschallung für Werbeagenturen inklusive deren Afterworkpartys -
sämtliche andere Loungevergnügen mit eingeschlossen.
Die einstigen HeldInnen sind heute in ihre Nischen zurückgekehrt und
kämpfen mit einem Überangebot elektronischer Trends und Acts - denn
gute und interessante musikalische Experimente im variablen Genre der
Intelligent Dance Music (IDM) gibt es nach wie vor. Der Beliebigkeit also zum
trotz, sind die »Heroes« zurück in die kaum wahrnehmbare
Avantgarde verschwunden, der sie einst mal so hoffnungsvoll entsprungen waren.
Die wirklich heißen Clubnächte dieser Art finden deshalb
höchstens noch in zwei bis drei wirklichen Metropolen dieser Welt
Gehör und präsentieren sich ansonsten ausschließlich als eine
angenehme Nostalgie.
HÖREN: BOARDS OF CANADA /// AUTECHRE
/// KRUDER & DORFMEISTER /// PREFUSE 73
Hip Hop
Hip Hop ist eine subkulturelle Bewegung, deren Ursprünge in den
afroamerikanischen Ghettos von New York City der siebziger Jahre zu finden
sind. Musikalisch in der Tradition noch älterer »schwarzer«
Musik von R&B bis Jazz stehend, entwickelte sich Hip Hop als kultureller
jugendlicher Gegenpart zu sozialen Missständen und Alltagsrassismus in den
Ghettos. Die Durchschlagskraft und Überzeugungsarbeit jener Jugendkultur
über Jahre war deshalb oftmals eines der Vorzeigebeispiele für die
Machbarkeit von Subversion mittels Pop. Auch hierzulande waren die ersten Hip
Hop-Gehversuche, abgesehen von den
Fanta 4, sehr vom Tatendrang einer
»bewussten« Szene geprägt. Traditionsbewusst wurden die
regionalen und landesweiten Unverhältnismäßigkeiten im Sozialen
und Politischen zum Ausgangspunkt verschiedener Reime. Hier ist die Geschichte
schnell zu Ende erzählt. Nach dem deutschsprachigen, politisch korrektem
»consciousness«-Hip Hop kam ein (von Mitte bis Ende der Neunziger
Jahre einsetzender) neuer Schwung an aus dem Bauch kommenden Lyrics, die
fresher nicht sein konnten. Wiederum war hier Hamburg maßgebliches
Maß aller rappenden Dinge.
Danach wurde es still um anregende Aspekte und Standards im deutschsprachigen
Hip Hop. Die »Klugen« hatten alles gesagt, was zu sagen war, bzw.
gingen und gehen mit anderen Musikstilen erfolgreich fremd. Was übrig
bleibt, ist ein Zustand, der Hip Hop in Deutschland schon seit einigen Jahren
den Pokal »regressivste Jugendkultur« sichert. Mit Homophopie,
Sexismus, Machotum, Deutschland- und Ghettorhetorik ist Hip Hop in Deutschland
nur noch als Unerträglichkeit wahrzunehmen. Gutgemeinte Versuche bleiben
im Schatten der Neubaugebiete unsichtbar. Hip Hop im Entstehungsland USA
wiederum genoss mehr und mehr Popularität. Wo die Einen neue
selbstbewusste Maßstäbe in Sachen Raps, Autos und Goldketten offen
und transparent präsentierten, übernahmen Andere den Part der Skepsis
und des Zweifels. Wiederum Andere nutzten jenen Konventionsbruch als
längst überfällige Chance, um auf einen endlich musikalisch
undogmatischeren Umgang mit Hip Hop zu setzen (vgl.
Outkast,
Nerd). Was hier im Großen sichtbar wurde, passierte vor allem in
England aber auch in den USA schon eine ganze Weile. Mit Einfluss von
Electronica, IDM und sonstiger Rap-fremder Genres entstand eine ganze Szene von
Musik mit fast schon avantgardistischem Ansatz. Zerhackte Beats und Breaks
paaren sich mit Bleeps und Klongs und schaffen Grundlagen für teilweise
eigensinnigen Sprechgesang und einen generell sehr individuellen und
»progressiven« Sound.
Die alten Helden des Hip Hop wiederum wollen sich auch nicht ganz geschlagen
geben und versuchen mit Live-Präsenz, von der so manch einer kaum mehr
träumen wollte, sich selbst und eine ganze Jugendkultur zu retten.
HÖREN: GRANDMASTER FLASH /// GANGSTARR /// DE LA SOUL /// CYNE /// ROOTS MANUVA
Grime / UK Garage / UK Hip Hop / 2 Step
England ist und bleibt die Entbindungsstation für »neue«
Sounds für Dancefloor und Straße. Die Entwicklungs- und
Entstehungsprozesse der einzelnen Trends und Beats sind meist identisch. Wie
auch bei der Entstehung von Hip Hop sind dort meist die ärmeren urbanen
Vorstädte samt ihrer so genannten Black Communities die Grundlage und der
Ausgangspunkt für neuen heißen authentischen Scheiß. Was der
Versuch von Garage Ende der Neunziger war, genauso durchbruchartig wie einst
mit Drum & Bass und Jungle die Dancefloors dieser Erde zu erklimmen,
scheint heute Grime, Dubstep und UK Hip Hop auferlegt zu sein. Es ist wie ein
Uhrwerk, das gestellt werden kann, wann denn endlich mal wieder »Das
neue Ding« von der Insel ausgerufen wird.
Aus dem UK Garage und 2 Step hervorgegangen, ist Grime etc. seit 2002 das
Synonym für die derzeit wohl angesagteste urbane Jugendkultur aus dem
Londoner Underground.
Grime (engl. für Schmutz) ist durch einen rohen, aggressiven bis
düsteren Sound samt Einflüssen aus Techno, Hip Hop, Drum & Bass,
Dub und Dancehall gekennzeichnet und zieht seine Schlagkraft vor allem aus den
ebenfalls aggressiven und temporeichen Vocals der MC's.
Wie viele einstige Erfolge vergangener englischer Clubkulturen, wird auch jene
derzeitig stark von der noch immer umtriebigen Piraten- und recht neuen
Internetradiolandschaft getragen. Die Szene dort scheint groß, doch
leider auch wiederum in ihren Entstehungsmomenten verwurzelt. Wo damals Drum
& Bass zur richtigen Zeit am richtigen Ort alle nötigen subkulturellen
Forderung von Progressivität und Freshness erfüllen vermochte und
sich damit die Welt eroberte, ist heute ein eins-zu-eins Übertragen und
Übernehmen von jugendkulturellen Codes, Beats und ganzen Szenen umso
schwerer zu erwarten. Somit kann wie bei Grime usw. noch so viel scheinbare
Realness und Authentizität gesichert sein, die hiesige
Hörerlandschaft kann mit derart kulturellen Maßstäben immer
weniger anfangen. Der Unterschied zeichnet sich noch deutlicher im Empirischen.
So sind die Grimepartys auf der Insel nicht selten Hort von
Kleinkriminalität und Ballerei - »echtes Vergnügen« von
Unten eben. Hierzulande will Grime von Spex und
DE:BUG, dem
feuilletonistischsten Flügel deutscher Musikpresse, vermittelt werden. Die
größten Partys finden in Berlin-Mitte statt. Trotz aller Sorge rockt
und kickt Grime gewaltig, ohne Frage.
HÖREN: WILEY /// LADY SOVEREIGN /// DIZZEE RASCAL /// THE PLASTICIAN
Hardcore
Hardcore und seine Spielarten gehören zum Gründungsmythos des
Conne Island. Einst dominierende und einzige Subkultur im Laden, ist Hardcore
nunmehr eine unter vielen Sparten. Entstanden in bewusster Abgrenzung zum
Nihilismus des Punk und zur Virtuosität und zum Machotum des Metal, auf
der Suche nach einer positiven Lebenseinstellung, wurde Hardcore hier immer als
links und in Teilen politisch rezipiert. Auf Grund dieser speziellen Geschichte
und der Ansprüche, die diese Subkultur für sich und andere stellt,
erfreute sich Hardcore zeitweise eines besonders kritischen Umgangs im Laden,
der bei anderen Subkulturen so nicht stattfand. Aufhänger waren dabei
beispielsweise die um Veganismus und Tierschutz kreisenden Diskussionen, die
einen in diesen Bereichen vorhandenen wenig emanzipatorischen Konservatismus
thematisierten. Über die Jahre ist eine weitgehende Ausdifferenzierung in
diverse Subsparten zu beobachten - ob Old- oder New School oder eben Metal.
Bestrebungen von Nazis, einen Fuß in diese Sparte zu bekommen wurde mit
der »Good Night White Pride«-Kampa-gne und anderen
Möglichkeiten nonverbaler Durchsetzungsfähigkeit entgegengesteuert.
Collegerock oder LiedermacherInnen - das Label Hardcore umfasst alle
möglichen Stile. Die mit Emocore praktizierte Hinwendung zur Innerlichkeit
und zum Ausdruck von Weltschmerz, Verletzlichkeit etc. prägen dieses Genre
genauso wie ein etwas gefälligerer Sound, der poppiger und
massenkompatibler daherkommt.
HÖREN: SICK OF IT ALL /// FUGAZI /// MINOR THREAT /// INSIGHT OUT /// BOY
SETS FIRE
Indie / New Wave / Postrock
Indie als Musikstil entstand als struktureller Nachfolger von Punk als
dessen introvertierter kleiner Bruder. Sich ähnelnde Netzwerke aus
kleineren Labels, Vertrieben, Clubs und Bands prägten in meist
familiärer Arbeitsweise diese, sich auch den Namen gebende unfreiwillige
»Unabhängigkeit« vom »bösen«
Majorbetrieb. Das angenehme daran war im Gegensatz zu Punk und Hardcore die
eigentlich pragmatische Umgangsweise mit einer gewissen Andersartigkeit. So
wurde die namensgebende »Unabhängigkeit« nicht immer als
selbst gewähltes Konzept verklärt, sondern aufgrund des
überschaubaren Kreises von Interessierten an dieser Art von Musik
definiert. Aus der Not der Nichtbeachtung wurde die Tugend einer eigenen
kleinen scheinbar parallelen Welt gemacht.
Musikalische kennzeichnete sich die Szene meist über einen sympathischen
Lo Fi-Ansatz und der gleichzeitigen stetigen Suche nach neuen musikalischen
Ufern. »Innovation« wurde hier meist großgeschrieben und es
entstanden musikalische Subgenres, die oftmals keine Trennung mehr zwischen so
genannter handgemachter und elektronisch erzeugter Musik erkennen ließen.
Dies wurde dann der Einfachheit halber gleich Postrock genannt.
Melancholie und ein recht intimes introvertiertes Verhältnis zur Musik war
genauso Identifikationsmoment als auch wesentlicher Charakter für einen
regelrechten Indieboom ab Beginn des neuen Jahrtausends. Und der Trend geht
weiter. Traurige melancholische Musik wird immer populärer. Ob dieser
Ausdruck von neuen individuellen Zweifeln Hoffnung auf mehr Bewusstsein hoffen
lässt, muss zwar verneint werden, er verändert den Ansturm auf und
Umgang mit derartigen Bands jedoch gewaltig. So ist Großbritannien
spätestens mit
Franz Ferdinand,
Interpol oder
Bloc
Party zur regelrechten »Indiemachine« geworden.
Das Erfolgsrezept dieser Bands ist die Komprimierung von 30 Jahren
Rockgeschichte auf die Gegenwart. Es geht oft um neuen New Wave in Form einer
gelungenen Reproduktion, die einfach zu sehr nach vorne rockt als dass man ihr
Anachronismus vorwerfen könnte.
Die direkte Teilhabe an derlei kulturellem Vergnügen wird durch deren
Popularität jedoch umso schwieriger, da jene Partizipation als
KonzertveranstalterInnen und BesucherInnen mit genannten
MeisterschülerInnen nur noch mit dem nötigen
»Kleingeld« machbar scheint.
Doch auch der »klassische« und »bezahlbare« Indie
aus zweiter und dritter Liga scheint einen - aufgrund von Sehnsüchten nach
Authentizität und Identifik-
ation - nicht zu unterschätzenden Aufschwung zu erleben. Dabei entsteht
immer noch richtig gute Musik.
HÖREN: TORTOISE /// MOTORPSYCHO ///
THE EDITORS /// DEATH CAB FOR CUTIE ///
CALEXICO /// MOGWAI
Electropunk / Clash
Eine erfreuliche Mischung aus elektrisch verstärkter Gitarre,
Achtziger-Elektrosounds und einem dem ursprünglichem Punk
eigentümlichen frischen Nihilismus. Produktionsweisen elektronischer
Tanzmusik in Verbindung mit dem unbedingten Willen, Krach zu machen, zeichnen
diesen Sound ebenso aus wie der stellenweise ganz ermutigende Umgang mit Texten
und Outfits - ob dabei schon eine eigene Subkultur entstanden ist, darf
bezweifelt werden.
HÖREN: RÄUBERHÖHLE /// T.RAUMSCHMIERE
/// DAS BIERBEBEN /// EPOXIES
Pop / Charts, etc.
Pop, hier ein bestimmtes Genre meinend, heißt nicht umsonst populär,
als dass deren Vertreter rein ästhetisch gesehen am gefälligsten
massenwirksamsten und somit kommerziell erfolgreichsten musikalisch aktiv waren
und sind. Pop wird oft als Retortenprodukt gebrandmarkt und als nicht
sonderlich authentisch verurteilt. Eigentlich ist aber Pop die schon immer
unspezifischste Art der U-Musik, die es am besten vermag, scheinbare Trends so
schnell wie möglich aufzusaugen, zu verbraten und sie gleichzeitig
weiterzugeben. So verhalf in den letzten Jahren beispielsweise der willkommene
Einfluss und Übergang einstiger »subkultureller« Codes,
Beats und Gesten in den so genannten »Mainstream« zu dessen
temporärer Rettung - oder besser noch: diente als
Krisenbewältigungsstrategie marktführender Labels. Dies hatte den
Vorteil, dass clevere und »innovative« Musik immer populärer
wurde und die Charts sämtlicher Szenemagazine auffällige Parallelen
zu den doch eigentlich so verhassten Mainstream-Verkaufs-Charts aufzeigten.
Doch auch diese Zeit scheint schon wieder der Vergangenheit anzugehören.
Im Umkehrschluss dazu fand auch die Ästhetik von Chartstürmern
schnell Einzug in einstmalig authentische »Subkulturen«. So
spricht man nicht selten davon, dass KünstlerInnen so genannter
Nischenkulturen, egal ob technoid oder rockig, ab und an ganz schön
»poppig« werden und geworden sind.
Für das Conne Island trat Pop als musikalisches Genre jahrelang als
Hamburger Klassentreffen auf, welches trotz stetig wachsender
BesucherInnenzahlen immer noch die Illusionen Vieler mit Inhalten am Leben zu
halten vermochte. Letztendlich stellte sich auch dort in der Mehrzahl der mehr
als verdiente kommerzielle Erfolg ein; schließlich wurde man prompt als
»ehrliche« und »handgemachte« Produkte einer
neudeutschen Welle vereinnahmt und musste als hörbarer Einfluss für
so manchen neuen deutschsprachigen musikalischen Schund herhalten.
HÖREN: PET SHOP BOYS /// BLUMFELD /// BRITNEY SPEARS /// MOLOKO ///
JUSTIN TIMBERLAKE /// MADONNA
Punk »Intelligent«
Interessantes Label - impliziertes die nähere Bestimmung
»intelligent« doch, dass andere Subsparten dieselbe missen
lassen. Es handelt sich hier um Musik die die einfachen Song- und
Textstrukturen des gewöhnlichen Punkrocks durchbricht und sich eher an dem
alten Ideal, keine Regeln zu beachten, orientiert.
Oma Hans und
ähnliche InterpretInnen stehen für diese fast schon an Jazz grenzende
Spielart, die allerdings der schon recht engen Definition einer Subkultur nicht
genügt. Zum Teil entwickelt sich das Ganze auch in Richtung
Erwachsenen-Pop.
HÖREN: MUFF POTTER /// EA 80 /// OMA HANS ///BUT ALIVE
Psychobilly / Rockabilly / Country
Entstanden aus einer der weißen Urformen des Rock, dem Rockabilly und
Punk (Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger) erlebt Psychobilly als
Subkultur im Zuge des Rock'n'Roll-Revivals eine neue Blüte. Ähnlich
und sich stellenweise überschneidend mit Horrorpunk, wobei die
stilistischen Grenzen hier fließend sind, beschäftigt sich die/der
PsychomusikantIn mit den dunklen Seiten der menschlichen Fantasie. Eine gewisse
kritiklose Verehrung von Symbolen und Inhalten der Südstaaten aus der Zeit
des amerikanischen Bürgerkriegs ist einer wertkonservativen Grundhaltung
genauso geschuldet wie einem gewissen rebellischen Image. Ebenso wie in anderen
Sparten des Rock fällt auch hier die Verwendung »Eiserner
Kreuze« auf, die dereinst von GI's als Beute mit nach Hause gebracht
wurden und heute in einem Akt der Umwertung von Symbolen als inhaltsleeres
Accessoire zurückkehrt. Wie bei allen anderen traditionellen Subkulturen
ist eine eindeutige Abgrenzung zu verschiedenen Stilen nicht möglich.
Rockabilly und Country spielen als musikalische Versatzstücke in
verschiedensten Stilen eine Rolle.
Amüsant ist die zunehmende Anzahl von Bands, die Popstücke als
Hillybilly oder Country spielen und dabei einigen kommerziellen Erfolg
erzielen. Ansonsten gilt Country als Musik für alte Menschen.
HÖREN: THE METEORS /// DEMENTED ARE GO ///THE CARAVANS /// JOHNNY CASH
Reggae / Dancehall
Aus Jamaika kommend war der Dancehallreggae auf dem besten Wege, Hip Hop als
wirkungsmächtigste Jugendkultur abzulösen. Ob
Seeed oder
Sean Paul - an chartkompatiblen Erzeugnissen fehlte es nicht. Und
dennoch blieb der ganz große Hype aus. Kleinere Labels leisten auf
lokaler Ebene wertvolle Arbeit, um alle Aspekte des Reggae hier bekannt zu
machen. Kultur die keinen stört, wenn auch ein etwas verquerer und
esoterischer Umgang mit Rauschmitteln und religiösen Vorstellungen nervt.
Immer wieder im Fokus des Interesses steht freilich der unkritische Umgang mit
homophoben und sexistischen Lyrics.
HÖREN: BOB MARLEY /// LEE »SCRATCH« PERRY /// LADY SAW
Ska / Northern Soul / »Ethno Ska«
Einstmals fast ausschließlich als das rezipiert, als das diese
Musikform auch entstand, nämlich Skinhead-Reggae, wird Ska heutzutage von
breiteren Publikumsschichten goutiert. Die alten HeldInnen dieses Sounds
sterben langsam aus. Ob
Laurel Aitken,
Desmond Dekker oder Teile
der
Skatalites - irgendwann wird wohl keiner von den Originalen mehr
unter den Lebenden weilen. Ska bietet ein schönes Beispiel dafür, wie
eine Subkultur zusammen mit einem Musikstil entstand und im Laufe der Zeit
wieder voneinander entkoppelt wurde. Und zwar so sehr, dass Skinheads bei
einschlägigen Veranstaltungen fast schon exotisch wirken. Als besonderer
StudentInnenspaß scheint sich dabei der sogenannte Latino-Ska zu
entwickeln - obwohl die dort gefeierten Bands genau genommen bis auf einige Offbeatanleihen
mit dem ursprüngliche Ska nichts zu tun haben und eher als
»Latin-Rock« zu beschreiben wären. Zu vermuten ist, dass
dabei ein gewisser Exotenbonus, der auch bei Phänomenen wie der
sogenannten »Russendisko« eine Rolle spielt und dessen genaue
Bedeutung vielleicht einmal einer näheren Betrachtung Wert scheint,
wesentlich ist. Northern Soul, entstanden in den nordenglischen Clubs der
sechziger Jahre, mutierte hierzulande ebenfalls von einer Subkultur für
Plattensammler und Eingeweihte zu einem ziemlich beliebigen
Wochenendvergnügen trotz oder vielleicht gerade wegen der jahrelangen
Aufbauarbeit der ProtagonistInnen.
HÖREN: LAUREL AITKEN /// THE SKATALITES /// PANTEON ROCOCO
Streetpunk / Oi!
Stets umstritten stellt diese spezielle Spielart des Punk doch das
größte Publikumssegment. Anfänglich als eine Mischung aus
tätiger Sozialarbeit und Rückgewinnung verlorenen subkulturellen
Terrains angelegt, gelang es, unter aktiver Mithilfe der Leipziger
Skinheadszene, die großen alten Helden dieser Subkultur hier zu sehen. Ob
Cock Sparrer oder
Cockney Rejects - alle waren sie da. Schwer
fällt bis heute noch einigen diese Subkultur als das zu sehen was sie ist
- nämlich: nicht rassistisch, dafür dem gemeinsamen unpolitischem
Bierverzehr zugeneigt. Besondere Höhepunkte stellten auch die zwei
Oi!-The Meetings im Conne Island dar. Neue Entwicklungen sind in diesem
Gebiet wie bei allen »Subkulturen« eher selten. Dennoch gibt es
immer wieder neue Bands, die den schon recht angestaubten Sound qualitativ
hochwertig zum Besten geben. Umstritten sind immer wieder Combos, von denen auf
Grund hanebüchener Gerüchte behauptet wird, sie wären politisch
falsch einzuordnen. Musikalisch wird sich hauptsächlich an der 77iger
Spielart des Punkrock in Vermischung mit aus dem Hardcore stammenden
Versatzstücken orientiert.
HÖREN: COCK SPARRER /// THE OPPRESSED ///ANGELIC UPSTARTS /// 4 SKINS
Anmerkung
1 Vgl. CEE IEH Nr. 24 (1996), 35 /1997), 47 (1998), 57 (1999), 68 (2000), 79 (2001) und 90 (2002). Alle Texte auch unter:
http://www.conne-island.de/nf/igesamt.html.