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Lars Quadfasel
Fun, auf Deutsch, heißt Stahlbad
Thesen zu Kulturindustrie, Nationalsozialismus und Postfaschismus

Die Instanzen des Doofen

Seit die Thesen zur Kulturindustrie verfasst wurden, gehört es zu den beliebtesten Übungen, ihre Geltung durch Verweis auf diesen oder jenen Film, diese oder jene Band, diese oder jene Platte widerlegen zu wollen. Um 1968 müssen Heerscharen seiner Schüler Adorno mit dem Ansinnen genervt haben, sich unbedingt die Beatles, die Rolling Stones u.ä. anhören zu müssen; heute übernimmt etwa ein Roger Behrens die Aufgabe, milde den Zeigefinger zu heben ob des ›Kulturkonservatismus‹ der Kritischen Theorie und ihrer Unfähigkeit, aus Spex-tauglicher Musik die zeitgemäßen Töne der Revolte zu hören. Fernab davon, die Gültigkeit der Kritik der Kulturindustrie empirisch zu widerlegen, bestätigen die Poplinken sie vielmehr.1 Als lebende Beispiele gesellschaftlich organisierter Erfahrungsarmut dokumentieren sie die allgemeine Unfähigkeit, den qualitativen Unterschied zwischen dem musikalischen Reichtum eines Streichquartetts von Beethoven oder Schönberg und der relativen Armut noch des avanciertesten Popsongs überhaupt auch nur zu erahnen. Adornos technischen Analysen des Jazz und anderer Popularmusik können sie schon deshalb nicht widersprechen, weil ihnen die dazu nötige musikalische Bildung, sedimentiert in einem entsprechenden Vokabular, fehlt; ihre Befunde können sie schon deshalb gar nicht anders als in einem vage subjektivistischen Jargon vortragen. Nichts aber ist unproduktiver als öffentlich ausgestelltes Fan-Tum. Wer gerne Piaf, Punk, Pet Shop Boys oder andere Protestsongs hört (der Autor zählt sich durchaus dazu), mit dem ist darüber nicht zu streiten; nur gibt es Privatsachen, die nicht an die große Glocke gehören.

Das Ressentiment der Poplinken entspringt der Ahn-ung, dass es der Kritik der Kulturindustrie wahrhaftig ums Ganze geht; dass wirklich sie gemeint sind. Mit der Güte ihrer Plattensammlung steht eben das zur Disposition, woraus sie ihr Selbstbewusstsein beziehen und an dem sie daher jeden teilhaben lassen müssen. Adorno in der Sache Recht zu geben, ginge völlig zurecht an die Substanz.

Getan wird daher gerne, als ginge es bei der Kulturindustrie bloß um das miese Programm in Film, Funk und Fernsehen. Das geht es natürlich auch; aber der Begriff der Kulturindustrie zielt gerade nicht auf einen abgehegten Bereich feierabendlicher Entspannung und Erbauung, als den sie selber, fröhlich und bescheiden, sich so gerne präsentiert. Ihre Rolle erfüllt sie nur als entgrenzte, die vor nichts Halt macht. Sie ist so allumfassend wie nichtig; als Institution muss sie, ihrem eigenen Prinzip gehorchend, so total werden wie die Gesellschaft, deren Plombe sie ist.
    »Hier bin ich Mensch, hier darf ich`s sein«: Mensch und nichts als Mensch, bar jeder weiteren Bestimmung, abstraktes Gattungswesen. Nicht die Internationale, die Kulturindustrie erkämpft ihm sein Recht: Wenn schon keine Sozialversicherung, so doch wenigstens einen Fernseher. Selbst im Slum ist fast jeder im Bilde. Den Menschen, den zu sein sie den Menschen erlaubt, schafft Kulturindustrie dann auch nach ihrem Bilde. Horcht einer nur tief genug in sich hinein und lässt seine Gedanken fließen, formen sie sich unwillkürlich zu Werbejingles.

Keinen, den Kulturindustrie, in ihrer trägen, amorphen Omnipräsenz, ungeschoren davon kommen ließe. Ohne sie, die uns seit Kindesbeinen treu begleitet, wären wir hilflos der Welt ausgeliefert, abgeschnitten von unserem Wissen wie von unseren Wünschen. Die mediale Apparatur, als wissender Zeuge, macht Intimität fassbar fürs Subjekt. Erst als er den Zeitungsbericht über seine Schlacht gelesen hat, vermag Fabrizio, Protagonist in Stendhals Kartause von Parma, im Stolz über seine Teilnahme am napoleonischen Feldzug zu schwelgen.

Zu den entscheidenden Einsichten der Dialektik der Aufklärung gehört daher, dass es keinen Ort jenseits der Kulturindustrie gibt. Was unter dem Label ›Subversion‹ auf den Markt kommt, gehört zum Betrieb »wie der Bodenreformer zum Kapitalismus«; und ebenso der Bildungsbürger, der über die Massenware die Nase rümpft. Er berappt nur mehr, um in der ersten Klasse das Gefühl der Exklusivität genießen zu dürfen. Damit erübrigt sich, wenn auch nicht der Geschmack, die Unterscheidung nach besser und schlechter, so doch jeder darauf aufbauende Identitätswettbewerb. Gerade wer sich in seinen Vorlieben der Kulturindustrie entronnen wähnt, klingt, will er andere an der neuen hippen Undergroundband, der neuen hippen Droge oder dem neuen hippen Sharewareprogramm teilhaben lassen, stets noch wie ein Staubsaugervertreter. Eine andere Sprache, die Dinge zu loben und zu preisen, als die der Reklame gibt es nicht; sie hat die Stelle eingenommen, die früher die göttliche Offenbarung innehatte. Wer sich aber wirksam dem Allgegenwärtigen verweigert, schickt sich, desinteressiert an dem, was seine Mitmenschen umtreibt, erst recht in die bornierte Asozialität des bürgerlichen Subjekts. Bestenfalls taugt er zum kulturindustriellen Sujet, als Sonderling oder, im Kollektiv, fürs folkloristische Spektakel.

Die Welt aus zweiter Hand, wie Kulturindustrie sie bietet, erstrahlt in reiner, abstrakter Präsenz. Sie kennt keine Geschichte, auch ihre eigene nicht. Im beliebten Format der »hundert besten« landet der aktuelle Sommerhit stets an erster Stelle und Oliver Pocher auf den vorderen Rängen der Comediens, während die Marx Brothers schon längst vergessen sind. Die Retrotrends, die seit geraumer Zeit vorherrschen, aktualisieren im Bezug des Mediums auf sich selbst nicht die Reflexion, sondern die Allgegenwärtigkeit des Immergleichen: den Genuss, dass nichts im System verloren geht und also weder Schmerz noch Sehnsucht droht.

Indem Kulturindustrie die biographische Kontinuität der Person garantiert, von der Sesamstraße über Bravo, Geigenstunden und Sportverein bis zum Nostalgieabend, unterminiert es sie zugleich. Erinnerung, die in vollendeter Souveränität an- oder abgeschaltet werden kann, bleibt ihrem Inhaber ganz äußerlich; Entfaltung findet nicht statt. Mittels der rituell wiederholten Regressionen im Stadion, beim Töpferkurs oder vor dem Fernseher bestätigt das Subjekt die Instanzen, die es an die Hand nehmen. Während es nie wirklich den Status der Infantilität verlassen hat, ist es doch von Anfang an illusionslos erwachsen: wie ein Kind, das alles schon gesehen hat.

Kulturindustrie ist so sentimental wie nüchtern. Die großen Emotionen, die von ihr entfesselt werden, bleiben an den kathartischen Moment gebunden, den sie kommandiert; durchaus auch ganz wortwörtlich. Wie die Phrasen das Denken, so nehmen Studiopublikum, ergriffene Hintergrundmusik und Konservendosengelächter einem das Fühlen ab. (Je schlechter das Produkt, desto aufwandsärmer; bei einem guten Fußballspiel oder einer guten Serie droht die Gefahr, dass sie den Zuschauer auch im nachhinein nicht loslassen.) Unbelastet von Affektivität, die doch nur Magengeschwüre macht, funktioniert es sich allemal reibungsloser. Genau das meinte Schröder, als er vom Holocaust-Mahnmal sprach als einem Ort, wo man gerne hingehen soll.

Die Delegation von sense und sensitivity entlastet nicht nur, sondern bereitet auch die Identifikation mit dem großen Ganzen vor. Nach Freuds Einsicht aus »Massenpsychologie und Ich-Analyse« beruhen die libidinösen Bindungskräfte der Masse auf der von allen Beteiligten vollzogenen Projektion ihres Ich-Ideals auf den Führer. Damit alle als Gleiche zu Einem verschmelzen können, ist, mit anderen Worten, das physische Erlebnis, ein mystischer Taumel der Menge, keineswegs erforderlich. Schon die Massenbildung der Nazis war wesentlich virtuell: Mit dem kollektiven Rausch vorm Volksempfänger konnte die SA nicht mithalten. (Der geheime Held dabei ist die Technik selber. Einem Schmierlappen wie Berlusconi würde wohl niemand das Charisma eines Führers zusprechen, wohl aber dem, was er - im Fernsehen, auf dem Rasen und anderswo - kommandiert.)

Die Massen, die Kulturindustrie elektrisiert, hält sie ständig auf Trab. Ihrem sardonischen Imperativ, »Genieße!«, vermag niemand Folge zu leisten; ewig gibt es noch Potentiale für Fun, Fitness und Selbstentfaltung, die unausgeschöpft sind, und Angebote, die man einfach nicht ablehnen kann.2 Zugleich aber stellt sie keine Ansprüche; das macht sie als ideale Instanz so verführerisch. Was sie fordert, ist: Du musst alles ändern - nur nicht dein Leben. Dem Konsumenten wird signalisiert, man werde ihn schon so nehmen, wie er ist. Oder, mit Horkheimers und Adornos Worten: »Es wird gesorgt.«

Gemeinschaft entsteht so im Zeichen anspruchslosen Genügens, eines generalisierten Kleinbürgertums. Dem gemeinen Zuschauer bleibt die Schadenfreude, dass ›die da oben‹ den teuren LCD-Fernseher haben mögen, aber ein besseres Programm damit noch lange nicht. Vom guten Leben werden, da es den Massen vorenthalten bleiben soll, der Einfachheit halber alle ausgeschlossen. Die den Reichtum besitzen, den die Gesellschaft produziert, können doch damit nichts anfangen - obgleich dessen Entfaltung, stellvertretend für die Menschheit, das einzige wäre, was Herrschaft zu legitimieren vermöchte. Stattdessen schmiedet sich das Bündnis aus Mob und Elite im Verzicht auf die überkommenen kulturellen Standards. »Jeder ist sich selbst ein Würstchen« (Adorno): Darin waren die herrschenden Klassen in Deutschland, vom rüpelhaften Krautjunker bis zur Kanzlerin aus dem Otto-Katalog, immer schon weltweit führend.

Die gesellschaftliche Integration, die parallel zur Desintegration des Subjekts verläuft, entbindet den Einzelnen nur soweit von der Sorge um sich selbst, wie es auch die Herrschaft von dieser entbindet. Es wächst zusammen, was früher auseinanderfiel: die gesellschaftliche Reproduktion und die individuelle. Jene fand im öffentlichen Raum statt, in den kapitalen Sphären von Produktion und Zirkulation, diese hingegen zwar unter klaren, durch den stummen Zwang vermittelten Zielvorgaben, aber doch im privaten Jenseits der Totalität. Misstrauisch beäugte man daher die Proletarier, ob sie auch wirklich mit der ihnen verliehenen Arbeitskraft zweckgemäß umgingen, oder ob sie es mit Dienst hier und Schnaps dort vielleicht doch nicht so genau nahmen. Kulturindustrie schafft Abhilfe, ganz unmittelbar: Sie weitet den produktiven Konsum, den das Kapital zur Verwertung betreibt, auf den Feierabend aus.
    Kulturindustrie hat teil am Geist der neuen Zeit, der kapitalen Ära von Monopol und Massenproduktion.3 Der Edelschund, den sie fabriziert, bringt deren öko-nomische Tendenz bewusstlos auf den Begriff: den tendenziellen Verfall des Gebrauchswerts. Handgreif-lich wird er in den Waren durch den Tauschwert verzehrt. Obwohl ein CD-Spieler, der verwendeten Technik wegen, gar nicht besser klingen kann als ein anderer, existieren die immensen Preisunterschiede aus vergangenen Stereoanlagenzeiten unvermindert fort. Dabeisein ist alles beim fröhlichen Spiel der Konkurrenz.

Der Tauschwert, den einer besitzt, ist ihm nichts anderes als Versprechen auf den Besitz eines anderen Tauschwerts; letztlich auf die Ewigkeit des Austauschprozesses. So deutet in der Kulturware auch ein Gebrauchswert auf den anderen: der Film aufs Video, das Video auf den Sequel, das aufs T-Shirt und jenes auf den nächsten Film in der gleichen Besetzung; die subkulturelle CD aufs subkulturelle Magazin, das subkulturelle Magazin auf den subkulturellen Lifestyle und der subkulturelle Lifestyle aufs entsprechende subkulturelle Warenangebot; von der komplett selbstreferentiellen Welt des Fernsehens, das zu Talkshows bevorzugt Moderatoren anderer Talkshows einlädt, ganz zu schweigen. Substantiell wird Kulturindustrie im Versprechen, bei der nächsten Ware werde alles anders. In Horkheimers und Adornos Worten: »Da aber ihr Produkt unablässig den Genuß, den es als Ware verheißt, auf die bloße Verheißung reduziert, so fällt es selber schließlich mit der Reklame zusammen, deren es um seiner Ungenießbarkeit willen bedarf.« Auf die Frage, was sie am liebsten im Fernsehen sehen, antworten nicht wenige Kindergartenkinder mit ›Werbung‹. Da zeigt Gesellschaft wirklich alles, was sie kann.

Wer einen Nike-Schuh kauft, kauft bekanntlich Ideologie4: die Aura des Kapitals, ihre im global player inkarnierten Potenzen (die nicht zum geringsten darin bestehen, aus Scheiße Gold machen zu können, das wirklich glänzt). Alles, was auf den Ursprung dieser Potenzen verweist, die Produktion, wird zum obszönen Geheimnis: Schmach derer, die unten, in den Sweatshops stehen. Nichts soll an ihre Fähigkeit erinnern, in der Aneignung von Natur Geschichte zu schreiben.

Die Allgegenwärtigkeit der Kulturindustrie macht jede Ware zu einer der ihren. Die Fähigkeit, zwischen Lachs und Mückenkuchen zu differenzieren, ist ja längst zur Hochglanzinszenierung geronnen, und auch mit dem Gut&Günstig-Joghurt wird Identität in den Körper gespeist. Krahls Satz, dass wir uns von Reklame ernähren, ist nicht metaphorisch gemeint. Selbst mit den Vitaminen nehmen wir die Tagesdosis, die Onkel Kellogs uns gütig verabreicht, zu uns. Was aber in Reklame nicht aufgeht, der Stoffwechsel mit der Natur, ist dadurch wirklich bloß noch Stoffwechsel - ohne allen Überschuss; all das, was an Natur mehr wäre als Natur. Der Sache nach ist es nicht von Belang.

Indem Kulturindustrie nichts tut, als die Welt so zu bestätigen, wie sie ist, verändert sie sie. Reine Immanenz ist das Wesen der autoritären Gesellschaft.

Deutscher Wein und deutscher Sang

Kulturindustrie, die, ob sie will oder nicht (aber meistens will sie ja ohnehin), Reklame für die fortgeschrittenste Gestalt des Kapitals macht, ist eben dadurch wie geschaffen für das Land des Wirtschaftswunders und der Exportweltmeister.

Dass die Filmproduktion, Urphänomen der Kulturindustrie, durch die UFA, nicht in Hollywood groß geworden ist, sollte niemanden wundern. Nicht zufällig nannte Kracauer sein Buch From Caligari to Hitler. Mit diesem hatte Deutschland seinen ersten genuinen Popstar, einschließlich Groupies beiderlei Geschlechts, die massenhaft vor dem Führer in Ohnmacht sanken.5 Leni Riefenstahl entwarf dazu die bis heute gültige Formensprache des Mediums; ohne die Massenornamente des Reichsparteitagsfilms keine Siegesfeier der Rebellen in Star Wars. - Das heißt weder, dass das Hollywood von heute der Nationalsozialismus von gestern ist, noch dass aus der Kameraperspektive der Massenmord, was auch immer das hieße, ›abzuleiten‹ wäre. Aber Brüche können nur konstatiert werden, nicht erklärt; sonst wären sie keine.

Riefenstahl hin oder her - Goebbels wusste schon, warum er den Anteil der Unterhaltungsfilme höher hielt als den der Propagandafilme; einfach, weil sie die besseren Propagandafilme sind. Davon profitierten die Nazis genauso wie postfaschistische Demokratie.

Mit Hilfe gerade der ›unpolitischen‹ Schmonzetten, aber auch der anderen nationalsozialistischen Freizeiterrungenschaften, konnten die Deutschen nach 1945 ihre Biographie verteidigen, ohne sich auf schlüpfriges Terrain begeben zu müssen. Die Feuerzangenbowle des drolligen Wichtes Heinz Rühmann, der regrediert, um mit der neuen Zeit zu gehen, vereint Opa und Enkel vorm Fernseher und die Studenten zum Kultfilmabend. Was damals lustig war, kann heute nicht unlustig sein. In Tanz den Adolf Hitler hat Seeßlen die bizarren Unschuldsmythen rekonstruiert, die sich um die Produktionen der faschistischen Traumfabrik rankten. Verkörpert wurden sie nicht zuletzt von zahllosen Filmschauspielerinnen, in deren biographischen Erzählungen selten die Nachstellungen durch Hitler und Goebbels, der großen Verführer, fehlten, denen sie sich mühsam hatten entziehen müssen - »Kulturindustrie ist pornographisch und prüde.« (Horkheimer/Adorno)

In deutsche Unterhaltungsmedien eingelegt, bleiben all die unverdaubaren ideologischen Brocken, die völkischen Tugenden, Reinheitsphantasmen und Verfolgungssehnsüchte so taufrisch wie sonst nur noch in der Kindererziehung. Hier ist das Leben noch einfach und unverstellt, anders als im schmutzigen Geschäft der Politik; hier macht das postfaschistische Subjekt sich frei von den ständigen Anforderungen der Arbeit, des Auslandes und der Zivilisation. Wo es um nichts geht, darf man sich ungestört gehen lassen. Die Träume von Allmacht werden erfüllt, solange sie Träume bleiben, heißt das stets prekäre Angebot der Kulturindustrie. Prekär deshalb, weil auch der Faschismus auf seine Art nichts als eine Schmierenkomödie war, die keiner ernst nehmen konnte - ein gigantischer (Alp-)Traum, der alle Realität in sich hineinsog.

Kontinuität gewähren nicht nur die Produktionen, denen man es - wie Heimatschinken, Volksliedern, Landserromanen und dem DFB - ansieht. Gerade das deutsche Vergangenheitsspektakel, das so penetrant die gute, ja weltweit einzigartige Gesinnung der Beteiligten herausstellt, verlängert die Barbarei ins Unendliche. All die konfektionierten Mahnmale, Feierstunden und Sondersendungen, die Bilder, Phrasen und approbierten Gefühle machen die Vernichtung marktgängig; über sie kann gesprochen werden, ohne sich selbst gemeint zu fühlen. Die Plauderei über Auschwitz, aus der nichts folgt, setzt Vernunft, Verantwortung, Humanität, kurz: die Marksteine bürgerlicher Individualität außer Kurs - mehr als jedes Schweigen es könnte.

Insofern, als Postfaschismus die zwanghafte Versöhnung von nationalsozialistischem Ausnahmezustand und demokratischem Normalvollzug meint, findet er in der Kulturindustrie sein ideales Medium vor. Sie erlaubt, das Ureigene, was das nationale Kollektiv zu sagen hat, der Sprache einzuschreiben, die die Welt beherrscht. (Und nicht immer so krude wie in jener ersten, von Seeßlen dokumentierten Asterix-Übersetzung aus dem Hause Kauka, in der die Schurken »jiddeln«, Römer »chewing gum« kauen und Obelix alias »Barbarras« statt eines Hinkelsteins einen »Schuldkomplex« auf dem Rücken trägt. Heute vollbringt man dergleichen gekonnter - ohne doch aufs Archaische Verzicht leisten zu müssen, das, wie im Falle Rammsteins, vielmehr zum Markenzeichen von erfolgreichem Pop made in Germany gehört.)
    Derart angesprochen, fällt die Antwort der Welt, zumindest für deutsche Ohren, verständnisvoll aus. Aus den Nazis in Hitchcocks Film Notorious werden in der deutschen Synchronfassung, mit Zustimmung der Produktionsfirma, Drogendealer. Gemeinsam be-kämpft man stattdessen in Comics, Spionagethrillern und »Kongressen für die Freiheit der Kultur« die rote Gefahr. Dass die mächtige Unterhaltungsbranche auf einen rechnet, füttert das Ego: Als umworbener Konsument ist man wieder wer. Ein Südstaaten-Junge mit Schmalztolle und gemeingefährlichem Hüftschwung, der Negermusik macht, aber nach seiner Stationierung in Deutschland »Muss i denn zum Städtele hinaus« singt - das ist Kulturindustrie, wie sie sein muss.

Weil sie synthetisiert, was - nicht zuletzt durch ihr Wirken - auseinanderfällt, ist Kulturindustrie ein Hort der Widersprüche: Inbegriff von Zweideutigkeit. Sie ist Extrem der Vermittlung, und will doch nichts als das Unvermittelte, die Authentizität. Sie produziert, klein und bescheiden, das harmlose Vergnügen für zwischendurch, und geht dabei immer aufs Ganze. Sie will Sprache des ›global village‹ sein, aber zugleich den Nationen ein Bildnis ihrer Besonderheit ausstellen. Sie gibt Kunst, die sich nichts Besseres dünkt, und doch vollgestopft mit Bildungsauftrag ist. Fern davon, an diesen Widersprüchen zu explodieren, existiert Kulturindustrie durch sie hindurch. Sie bilden den Motor ihrer Bewegung, deren Resultat Mode heißt. Daher ist auch und gerade für Opposition ein Plätzchen in ihr vorgesehen.

In Deutschland stand, und steht noch, der hegemoniale Kulturkonsum auf der Seite angestrengter Sinnproduktion. Kein Fernsehen ohne gediegene, gesetzlich vorgeschriebene Halbbildung; und selbst die Blödelwelle der neunziger Jahre diente dem nationalen Anliegen, die eigene, mühsam eingeübte Lockerheit stolz zur Schau zu stellen. Kein Wunder also, dass die Unterhaltungswaren der Konkurrenz hierzulande als befreiend erlebt wurden; am Beginn von wessen kritischer Karriere standen keine Donald Duck-Comics? Rock`n`Roll muss, umgeben vom Muff aus 1000 Jahren, wirklich als Frischluftdusche gewirkt haben. Statt ihn in Reih und Glied zu zwingen, durfte der Körper ungehemmt herumgewirbelt werden; Jungs, ehedem hart wie Kruppstahl, achteten akribisch aufs laszive Äußere; und das deutsche Mädel, das so etwas doch nicht tut, begann sich zu schminken.

Am Rock`n`Roll erweist sich jedoch auch die ganze Ambivalenz der kulturindustriell präformierten Rebellion. Die Hingabe an Elvis Presley & Co., auf welche die Elterngeneration mit ebenso hasserfülltem wie hilflosem Entsetzen ansprach, vollzog sich im Schutze der stärkeren Bataillone: in den Kneipen der GI`s und mit dem Segen des Marktes. Quittiert wurde den Tätern, die sich als Familientyrannen häuslich eingerichtet hatten, ihre Niederlage; nicht ihre Taten von einst, ihre Schwäche von heute hatte ihre Machtposition delegitimiert. Insofern glich das Treiben der ›Halbstarken‹ einer konformistischen Revolte, die durch schicksalshafte Fügung ihren nichtkonformistischen Ausdruck fand.

Dementsprechend leicht war sie zu integrieren: durch den Beweis, dass auch die Eltern, mit ihren Mitteln, mit der Zeit zu gehen vermochten. Bravo handelte zwischen den Generationen die akzeptable Kotelettenlänge aus, und Peter Krauss und Conny Froboess, die deutschen Antworten auf die amerikanische Herausforderung, wurden bereits von ihren Eltern gemanaget. So klang dann auch die Musik.

Viel mehr gibt es auch über das nicht zu sagen, was aus 1968 wurde. Die einen produzierten, Seit an Seit mit der Macht der Natur, Kulturindustrie in Handarbeit, die anderen, Seit an Seit mit der Macht der Geschichte, Sequel über Sequel zur KPD der Weimarer Republik. Kein Wunder, dass sie, in die Jahre gekommen, sich alle gerne im Kino sehen.

Das sollte davor warnen, auch aktuell allzuviel Hoffnungen in die emanzipatorischen Wirkungen von Kulturindustrie zu setzen. Unbestritten, dass es erfreulich ist, wenn Teheraner Jugendliche lieber westlicher Popmusik lauschen mögen als dem Gegeifer der Mullahs. Nur sollte man nicht vergessen, dass der Islamismus selber ein durch und durch kulturindustrielles Phänomen ist, vom Snuff-Movie mit Geiseln im Internet bis zu den Mannequins, die einem begeisterten Pu-blikum die neuesten Kopftuchmoden vorführen. Da er zudem über die besseren Ressourcen verfügt, stände eine Opposition, die sich auf die Anziehungskraft von Popstars und Radiosendern verließe, schnell auf verlorenem Posten. In Ägypten avancierten die Protokolle der Weisen von Zion zur TV-Erfolgsserie.

Dass kulturindustrielle Produkte, die sich unprätentios als solche einbekennen, im Angesicht des deutschen Bildungsphilistertums »heilsame Zäsuren« zu setzen vermögen, hat Adorno, etwa im Falle der Weillschen Musicals, theoretisch immer anerkannt.6 Das entfesselte Amusement hatte schon die Dialektik der Aufklärung als notwendiges Korrektiv der Kunst visiert - und der Kulturindustrie dort zugetraut, wo sie, selten genug, die ihr eigentümliche »eigensinnig-sinnverlassene Könnerschaft« nicht an Bedeutung und Wirkung verrät. Würde sie ihre eigenen Potentiale nicht in einem fort verraten - eine wahrhaft niedere Kunst, die sich an nichts als an den Körper und dessen Begierden hielte, wäre einer abgewirtschafteten Hochkultur, die selbst Auschwitz überstanden hat, allemal überlegen.

Nicht allerdings im einfachen Sinne der Desillusionierung. Entauratisierung der Kunst heißt nicht, ihr die Luft abzulassen und dabei an Souveränität zu gewinnen. Gerade der Typus des Abgebrühten, der nichts kauft, weil eh alles Schwindel sei, ist Produkt, nicht Widerpart der Kulturindustrie. Deren Gerissenheit, die er zu durchschauen behauptet, zieht ihn in Wirklichkeit an. Auf ihn rechnet sie daher, wenn sie, auf Schlagermoves und im Trashfernsehen, siegesgewiss ihre eigene Infamie offensiv herausschreit. Sich dem Pöbel überlegen zu fühlen, ist das ultimative narzisstische Angebot des Mediums an den Zuschauer; statt mit den armseligen Gestalten, die es vorführt, identifiziert er sich mit der Apparatur, die auf sie hinabblickt. Darin besteht die Verbindungslinie zwischen Deutschland sucht den Superstar und der Videoüberwachung in Innenstädten.

Wer sich über den Dingen wähnt, ist zum Mitmacher prädestiniert; erhaben ist es, als Klügerer nachzugeben. Man hat ja nichts zu verlieren. Besiegelt wird der Umschlag von Hybris in Unterwerfung dann im korrupten Satz von den Sachen, die so schlecht seien, dass sie schon wieder gut wären.

Vom selbstbewussten Konsumenten, der übers Fernsehprogramm schimpft wie weiland über Goebbels-Schnauze, ist daher nichts zu gewärtigen. Wird er aktiv, so als sein eigener, internalisierter Kraft-durch-Freude-Funktionär, der sich in souveräner Willkür die Vergnügungsquanten zuteilt, bevor ein anderer sie ihm wegschnappen kann. Spuren des Besseren finden sich, wenn überhaupt, dann im Gegenteil: in der selbstvergessenen Hingabe an die Technik. Die kindliche Lust des Kinos am spektakulären Effekt, auch die Serie, der es tatsächlich gelingt, die Zeit zwischen den Folgen in eine einzige quälend lange Werbeunterbrechung zu verwandeln, bewahrt etwas davon. Der »Milkcow Blues Boogie« von Elvis setzt an, bricht ab, bevor zu den Worten »It don`t move. Let`s get real real going for a change« die Musik mit unerhörter Intensität loslegt. In ihren besten Momenten aktualisiert die Kulturindustrie ihr utopisches Versprechen vom Ende der Langeweile.

Der institutionalisierten Erfahrungszerstörung Erfahrungen abzuringen, gelingt nur durchs fragmentierte Individuum hindurch. Medial zergliedert und von Widersprüchen zerrissen, gibt es dereinst vielleicht die Potenzen frei, die im mit sich ganz identischen bürgerlichen Subjekt beschlossen lagen und vorerst an die Technik delegiert worden sind.
    Mimesis an die Apparatur heißt ja auch: Dienst am Kunden, dessen Wünsche und Bedürfnisse man sich zu eigen macht. Identifikation mit der Warenseele, wenn sie ganz gelingt, bewirkt, in Adornos Worten, »sekundäre Humanisierung«. In Deutschland steht ihr das verstockte Beharren auf dem eigenen, kostbaren Selbst entgegen, das man, mitsamt seiner unverwechselbaren Launen und Eigenarten, so zu nehmen habe, wie es ist. Die Verachtung des Anderen, die einem nicht nur in Berlin in jedem Bus und jeder Bäckerei entgegentritt, prägt auch die hiesige Kulturindustrie. Sie ist, aus Lieblosigkeit, immer ungelenker, als sie sein müsste. Wer dessen ungeachtet deutsche Soaps oder deutschen Hip Hop dem amerikanischen Original vorzieht, hat sich überwunden; auf den ist Verlass.
   
    Wo Kulturindustrie alles mit Ähnlichkeit schlägt, bewährt sich Humanität wahrhaft an den kleinsten Unterschieden. Nichts bezeichnet daher vielleicht die
    Überlegenheit Amerikas besser, als dass dort die Tüllen der Getränkepackungen sich wirklich mühelos offen lassen, wenn man mit beiden Fingern auf die markierten Stellen drückt. Hierzulande funktionierte das, wie auf geheime Verabredung, nie, und inzwischen haben die Hersteller auf den Versuch auch längst verzichtet.

Der Autor ist in der Hamburger Studienbibliothek assoziiert.

Der Text entstand während der Vorbereitungen zu einer Veranstaltung anlässlich des 15 jährigen Jubiläums des Conne Island.

Anmerkungen

1 Wer sinnlich erleben will, wie es um die Traumhochzeit von Pop und Subversion steht, der höre nur gut zu. Z.B. bei Blumfeld: Man singt da inzwischen Schlager für Bruder Bär und Schwester Tomate.

2 Ohne sie doch reines Gewissens annehmen zu dürfen. Jeder pursuit of happiness ist immer auch ein Exzess, der die Harmonie mit dem Selbst aus dem Gleichgewicht zu bringen droht. Die freie Wahl zwischen schlapp & dick und schlank & gesund ist nur solange einfach, wie einen die Krankenkassen nicht nachdrücklich auf die Risiken intensiver sportlicher Betätigung hingewiesen haben.

3 Ein Vorgang, der in der mikroelektronischen Revolution der Produktivkräfte noch einmal sich wiederholt.

4 Die, in Form von Imagekampagnen, auch den Löwenanteil der Herstellungskosten ausmacht.

5 Als seine Karriere den Zenit überschritten hatte, war er, wie die Mitscherlichs in Die Unfähigkeit zu trauern feststellten, dementsprechend schnell vergessen.

6 T. W. Adorno »Vortrupp und Avantgarde«, Ges. Schriften Bd. 18, S. 802
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15jahre.conne-island.de - Broschüre zu 15 Jahre Conne Island - 9. September 2006