Lars Quadfasel
Fun, auf Deutsch, heißt Stahlbad
Thesen zu Kulturindustrie, Nationalsozialismus und
Postfaschismus
»Man hat bisher geglaubt, die christliche Mythenbildung unter dem
römischen Kaiserreich sei nur möglich gewesen, weil die Druckerei
noch nicht erfunden war. Grade umgekehrt. Die Tagespresse und der Telegraph,
der ihre Erfindungen im Nu über den ganzen Erdboden ausstreut, fabrizieren
[...] mehr Mythen an einem Tag, als früher in einem Jahrhundert
hätten fertiggebracht werden können.«
(Marx, Brief an Kugelmann, MEW Bd. 33, S. 252)
Die Instanzen des Doofen
Seit die Thesen zur Kulturindustrie verfasst wurden, gehört es zu den
beliebtesten Übungen, ihre Geltung durch Verweis auf diesen oder jenen
Film, diese oder jene Band, diese oder jene Platte widerlegen zu wollen. Um
1968 müssen Heerscharen seiner Schüler Adorno mit dem Ansinnen
genervt haben, sich unbedingt die Beatles, die Rolling Stones u.ä.
anhören zu müssen; heute übernimmt etwa ein Roger Behrens die
Aufgabe, milde den Zeigefinger zu heben ob des Kulturkonservatismus
der Kritischen Theorie und ihrer Unfähigkeit, aus
Spex-tauglicher
Musik die zeitgemäßen Töne der Revolte zu hören. Fernab
davon, die Gültigkeit der Kritik der Kulturindustrie empirisch zu
widerlegen, bestätigen die Poplinken sie vielmehr.
1 Als lebende Beispiele
gesellschaftlich organisierter Erfahrungsarmut dokumentieren sie die allgemeine
Unfähigkeit, den qualitativen Unterschied zwischen dem musikalischen
Reichtum eines Streichquartetts von Beethoven oder Schönberg und der
relativen Armut noch des avanciertesten Popsongs überhaupt auch nur zu
erahnen. Adornos technischen Analysen des Jazz und anderer Popularmusik
können sie schon deshalb nicht widersprechen, weil ihnen die dazu
nötige musikalische Bildung, sedimentiert in einem entsprechenden
Vokabular, fehlt; ihre Befunde können sie schon deshalb gar nicht anders
als in einem vage subjektivistischen Jargon vortragen. Nichts aber ist
unproduktiver als öffentlich ausgestelltes Fan-Tum. Wer gerne
Piaf,
Punk,
Pet Shop Boys oder andere Protestsongs hört (der Autor
zählt sich durchaus dazu), mit dem ist darüber nicht zu streiten; nur
gibt es Privatsachen, die nicht an die große Glocke gehören.
Das Ressentiment der Poplinken entspringt der Ahn-ung, dass es der Kritik der
Kulturindustrie wahrhaftig ums Ganze geht; dass wirklich sie gemeint sind. Mit
der Güte ihrer Plattensammlung steht eben das zur Disposition, woraus sie
ihr Selbstbewusstsein beziehen und an dem sie daher jeden teilhaben lassen
müssen. Adorno in der Sache Recht zu geben, ginge völlig zurecht an
die Substanz.
Getan wird daher gerne, als ginge es bei der Kulturindustrie bloß um das
miese Programm in Film, Funk und Fernsehen. Das geht es natürlich
auch; aber der Begriff der Kulturindustrie zielt gerade nicht auf einen
abgehegten Bereich feierabendlicher Entspannung und Erbauung, als den sie
selber, fröhlich und bescheiden, sich so gerne präsentiert. Ihre
Rolle erfüllt sie nur als entgrenzte, die vor nichts Halt macht. Sie ist
so allumfassend wie nichtig; als Institution muss sie, ihrem eigenen Prinzip
gehorchend, so total werden wie die Gesellschaft, deren Plombe sie ist.
»Hier bin ich Mensch, hier darf ich`s sein«: Mensch und nichts
als Mensch, bar jeder weiteren Bestimmung, abstraktes Gattungswesen. Nicht die
Internationale, die Kulturindustrie erkämpft ihm sein Recht: Wenn schon
keine Sozialversicherung, so doch wenigstens einen Fernseher. Selbst im Slum
ist fast jeder im Bilde. Den Menschen, den zu sein sie den Menschen erlaubt,
schafft Kulturindustrie dann auch nach ihrem Bilde. Horcht einer nur tief genug
in sich hinein und lässt seine Gedanken fließen, formen sie sich
unwillkürlich zu Werbejingles.
Keinen, den Kulturindustrie, in ihrer trägen, amorphen Omnipräsenz,
ungeschoren davon kommen ließe. Ohne sie, die uns seit Kindesbeinen treu
begleitet, wären wir hilflos der Welt ausgeliefert, abgeschnitten von
unserem Wissen wie von unseren Wünschen. Die mediale Apparatur, als
wissender Zeuge, macht Intimität fassbar fürs Subjekt. Erst als er
den Zeitungsbericht über seine Schlacht gelesen hat, vermag Fabrizio,
Protagonist in Stendhals
Kartause von Parma, im Stolz über seine
Teilnahme am napoleonischen Feldzug zu schwelgen.
Zu den entscheidenden Einsichten der
Dialektik der Aufklärung
gehört daher, dass es keinen Ort jenseits der Kulturindustrie gibt. Was
unter dem Label Subversion auf den Markt kommt, gehört zum
Betrieb »wie der Bodenreformer zum Kapitalismus«; und ebenso der
Bildungsbürger, der über die Massenware die Nase
rümpft. Er berappt nur mehr, um in der ersten Klasse das Gefühl der
Exklusivität genießen zu dürfen. Damit erübrigt sich, wenn
auch nicht der Geschmack, die Unterscheidung nach besser und schlechter, so
doch jeder darauf aufbauende Identitätswettbewerb. Gerade wer sich in
seinen Vorlieben der Kulturindustrie entronnen wähnt, klingt, will er
andere an der neuen hippen Undergroundband, der neuen hippen Droge oder dem
neuen hippen Sharewareprogramm teilhaben lassen, stets noch wie ein
Staubsaugervertreter. Eine andere Sprache, die Dinge zu loben und zu preisen,
als die der Reklame gibt es nicht; sie hat die Stelle eingenommen, die
früher die göttliche Offenbarung innehatte. Wer sich aber wirksam dem
Allgegenwärtigen verweigert, schickt sich, desinteressiert an dem, was
seine Mitmenschen umtreibt, erst recht in die bornierte Asozialität des
bürgerlichen Subjekts. Bestenfalls taugt er zum kulturindustriellen Sujet,
als Sonderling oder, im Kollektiv, fürs folkloristische Spektakel.
Die Welt aus zweiter Hand, wie Kulturindustrie sie bietet, erstrahlt in reiner,
abstrakter Präsenz. Sie kennt keine Geschichte, auch ihre eigene nicht. Im
beliebten Format der »hundert besten« landet der aktuelle
Sommerhit stets an erster Stelle und Oliver Pocher auf den vorderen Rängen
der Comediens, während die Marx Brothers schon längst vergessen sind.
Die Retrotrends, die seit geraumer Zeit vorherrschen, aktualisieren im Bezug
des Mediums auf sich selbst nicht die Reflexion, sondern die
Allgegenwärtigkeit des Immergleichen: den Genuss, dass nichts im System
verloren geht und also weder Schmerz noch Sehnsucht droht.
Indem Kulturindustrie die biographische Kontinuität der Person garantiert,
von der
Sesamstraße über
Bravo, Geigenstunden und
Sportverein bis zum Nostalgieabend, unterminiert es sie zugleich. Erinnerung,
die in vollendeter Souveränität an- oder abgeschaltet werden kann,
bleibt ihrem Inhaber ganz äußerlich; Entfaltung findet nicht statt.
Mittels der rituell wiederholten Regressionen im Stadion, beim Töpferkurs
oder vor dem Fernseher bestätigt das Subjekt die Instanzen, die es an die
Hand nehmen. Während es nie wirklich den Status der Infantilität
verlassen hat, ist es doch von Anfang an illusionslos erwachsen: wie ein Kind,
das alles schon gesehen hat.
Kulturindustrie ist so sentimental wie nüchtern. Die großen
Emotionen, die von ihr entfesselt werden, bleiben an den kathartischen Moment
gebunden, den sie kommandiert; durchaus auch ganz wortwörtlich. Wie die
Phrasen das Denken, so nehmen Studiopublikum, ergriffene Hintergrundmusik und
Konservendosengelächter einem das Fühlen ab. (Je schlechter das
Produkt, desto aufwandsärmer; bei einem guten Fußballspiel oder
einer guten Serie droht die Gefahr, dass sie den Zuschauer auch im nachhinein
nicht loslassen.) Unbelastet von Affektivität, die doch nur
Magengeschwüre macht, funktioniert es sich allemal reibungsloser. Genau
das meinte Schröder, als er vom Holocaust-Mahnmal sprach als einem Ort, wo
man gerne hingehen soll.
Die Delegation von
sense und
sensitivity entlastet nicht nur,
sondern bereitet auch die Identifikation mit dem großen Ganzen vor. Nach
Freuds Einsicht aus »Massenpsychologie und Ich-Analyse« beruhen
die libidinösen Bindungskräfte der Masse auf der von allen
Beteiligten vollzogenen Projektion ihres Ich-Ideals auf den Führer. Damit
alle als Gleiche zu Einem verschmelzen können, ist, mit anderen Worten,
das physische Erlebnis, ein mystischer Taumel der Menge, keineswegs
erforderlich. Schon die Massenbildung der Nazis war wesentlich virtuell: Mit
dem kollektiven Rausch vorm Volksempfänger konnte die SA nicht mithalten.
(Der geheime Held dabei ist die Technik selber. Einem Schmierlappen wie
Berlusconi würde wohl niemand das Charisma eines Führers zusprechen,
wohl aber dem, was er - im Fernsehen, auf dem Rasen und anderswo -
kommandiert.)
Die Massen, die Kulturindustrie elektrisiert, hält sie ständig auf
Trab. Ihrem sardonischen Imperativ, »Genieße!«, vermag
niemand Folge zu leisten; ewig gibt es noch Potentiale für Fun, Fitness
und Selbstentfaltung, die unausgeschöpft sind, und Angebote, die man
einfach nicht ablehnen kann.
2 Zugleich aber stellt sie keine Ansprüche;
das macht sie als ideale Instanz so verführerisch. Was sie fordert, ist:
Du musst alles ändern - nur nicht dein Leben. Dem Konsumenten wird
signalisiert, man werde ihn schon so nehmen, wie er ist. Oder, mit Horkheimers
und Adornos Worten: »Es wird gesorgt.«
Gemeinschaft entsteht so im Zeichen anspruchslosen Genügens, eines
generalisierten Kleinbürgertums. Dem gemeinen Zuschauer bleibt die
Schadenfreude, dass die da oben den teuren LCD-Fernseher haben
mögen, aber ein besseres Programm damit noch lange nicht. Vom guten Leben
werden, da es den Massen vorenthalten bleiben soll, der Einfachheit halber alle ausgeschlossen. Die
den Reichtum besitzen, den
die Gesellschaft produziert, können doch damit nichts
anfangen - obgleich dessen Entfaltung, stellvertretend
für die Menschheit, das einzige wäre, was Herrschaft
zu legitimieren vermöchte. Stattdessen schmiedet
sich das Bündnis aus Mob und Elite im Verzicht
auf die überkommenen kulturellen Standards. »Jeder
ist sich selbst ein Würstchen« (Adorno): Darin waren die
herrschenden Klassen in Deutschland, vom rüpelhaften Krautjunker bis zur
Kanzlerin aus dem
Otto-Katalog, immer schon weltweit führend.
Die gesellschaftliche Integration, die parallel zur
Desintegration des Subjekts verläuft, entbindet den
Einzelnen nur soweit von der Sorge um sich selbst,
wie es auch die Herrschaft von dieser entbindet.
Es wächst zusammen, was früher auseinanderfiel:
die gesellschaftliche Reproduktion und die individuelle. Jene fand im öffentlichen Raum statt, in
den kapitalen Sphären von Produktion und Zirkulation, diese hingegen zwar
unter klaren, durch den stummen Zwang vermittelten Zielvorgaben, aber doch
im privaten Jenseits der Totalität. Misstrauisch beäugte man daher die Proletarier, ob sie auch wirklich mit der ihnen verliehenen Arbeitskraft zweckgemäß umgingen, oder ob sie es mit Dienst hier
und Schnaps dort vielleicht doch nicht so genau nahmen. Kulturindustrie schafft
Abhilfe, ganz unmittelbar: Sie weitet den produktiven Konsum, den das Kapital
zur Verwertung betreibt, auf den Feierabend aus.
Kulturindustrie hat teil am Geist der neuen Zeit, der kapitalen Ära von
Monopol und Massenproduktion.
3 Der Edelschund, den sie fabriziert, bringt
deren öko-nomische Tendenz bewusstlos auf den Begriff: den tendenziellen
Verfall des Gebrauchswerts. Handgreif-lich wird er in den Waren durch den
Tauschwert verzehrt. Obwohl ein CD-Spieler, der verwendeten Technik wegen, gar nicht besser klingen kann als ein anderer, existieren die
immensen Preisunterschiede aus vergangenen Stereoanlagenzeiten unvermindert
fort. Dabeisein ist alles beim fröhlichen Spiel der
Konkurrenz.
Der Tauschwert, den einer besitzt, ist ihm nichts anderes als Versprechen auf
den Besitz eines anderen Tauschwerts; letztlich auf die Ewigkeit des
Austauschprozesses. So deutet in der Kulturware auch ein Gebrauchswert auf den
anderen: der Film aufs Video, das Video auf den Sequel, das aufs T-Shirt und
jenes auf den nächsten Film in der gleichen Besetzung; die subkulturelle
CD aufs subkulturelle Magazin, das subkulturelle Magazin auf den subkulturellen
Lifestyle und der subkulturelle Lifestyle aufs entsprechende subkulturelle
Warenangebot; von der komplett selbstreferentiellen Welt des Fernsehens, das zu
Talkshows bevorzugt Moderatoren anderer Talkshows einlädt, ganz zu
schweigen. Substantiell wird Kulturindustrie im Versprechen, bei der
nächsten Ware werde alles anders. In Horkheimers und Adornos Worten:
»Da aber ihr Produkt unablässig den Genuß, den es als Ware
verheißt, auf die bloße Verheißung reduziert, so fällt
es selber schließlich mit der Reklame zusammen, deren es um seiner
Ungenießbarkeit willen bedarf.« Auf die Frage, was sie am liebsten
im Fernsehen sehen, antworten nicht wenige Kindergartenkinder mit
Werbung. Da zeigt Gesellschaft wirklich alles, was sie kann.
Wer einen Nike-Schuh kauft, kauft bekanntlich Ideologie
4: die Aura des
Kapitals, ihre im global player inkarnierten Potenzen (die nicht zum geringsten
darin bestehen, aus Scheiße Gold machen zu können, das wirklich
glänzt). Alles, was auf den Ursprung dieser Potenzen verweist, die
Produktion, wird zum obszönen Geheimnis: Schmach derer, die unten, in den
Sweatshops stehen. Nichts soll an ihre Fähigkeit erinnern, in der
Aneignung von Natur Geschichte zu schreiben.
Die Allgegenwärtigkeit der Kulturindustrie macht jede Ware zu einer der
ihren. Die Fähigkeit, zwischen Lachs und Mückenkuchen zu
differenzieren, ist ja längst zur Hochglanzinszenierung geronnen, und auch
mit dem
Gut&Günstig-Joghurt wird Identität in den
Körper gespeist. Krahls Satz, dass wir uns von Reklame ernähren, ist
nicht metaphorisch gemeint. Selbst mit den Vitaminen nehmen wir die Tagesdosis,
die Onkel
Kellogs uns gütig verabreicht, zu uns. Was aber in
Reklame nicht aufgeht, der Stoffwechsel mit der Natur, ist dadurch wirklich
bloß noch Stoffwechsel - ohne allen Überschuss; all das, was an
Natur mehr wäre als Natur. Der Sache nach ist es nicht von Belang.
Indem Kulturindustrie nichts tut, als die Welt so zu bestätigen, wie sie
ist, verändert sie sie. Reine Immanenz ist das Wesen der autoritären
Gesellschaft.
Deutscher Wein und deutscher Sang
Kulturindustrie, die, ob sie will oder nicht (aber meistens will sie ja
ohnehin), Reklame für die fortgeschrittenste Gestalt des Kapitals macht,
ist eben dadurch wie geschaffen für das Land des Wirtschaftswunders und
der Exportweltmeister.
Dass die Filmproduktion, Urphänomen der Kulturindustrie, durch die UFA,
nicht in Hollywood groß geworden ist, sollte niemanden wundern. Nicht
zufällig nannte Kracauer sein Buch
From Caligari to Hitler. Mit
diesem hatte Deutschland seinen ersten genuinen Popstar, einschließlich
Groupies beiderlei Geschlechts, die massenhaft vor dem Führer in Ohnmacht
sanken.
5 Leni Riefenstahl entwarf dazu die bis heute gültige
Formensprache des Mediums; ohne die Massenornamente des Reichsparteitagsfilms
keine Siegesfeier der Rebellen in
Star Wars. - Das heißt weder,
dass das Hollywood von heute der Nationalsozialismus von gestern ist, noch dass
aus der Kameraperspektive der Massenmord, was auch immer das hieße,
abzuleiten wäre. Aber Brüche können nur konstatiert
werden, nicht erklärt; sonst wären sie keine.
Riefenstahl hin oder her - Goebbels wusste schon, warum er den Anteil der
Unterhaltungsfilme höher hielt als den der Propagandafilme; einfach, weil
sie die besseren Propagandafilme sind. Davon profitierten die Nazis genauso wie
postfaschistische Demokratie.
Mit Hilfe gerade der unpolitischen Schmonzetten, aber auch der
anderen nationalsozialistischen Freizeiterrungenschaften, konnten die Deutschen
nach 1945 ihre Biographie verteidigen, ohne sich auf schlüpfriges Terrain
begeben zu müssen. Die
Feuerzangenbowle des drolligen Wichtes Heinz
Rühmann, der regrediert, um mit der neuen Zeit zu gehen, vereint Opa und
Enkel vorm Fernseher und die Studenten zum Kultfilmabend. Was damals lustig
war, kann heute nicht unlustig sein. In
Tanz den Adolf Hitler hat
Seeßlen die bizarren Unschuldsmythen rekonstruiert, die sich um die
Produktionen der faschistischen Traumfabrik rankten. Verkörpert wurden sie
nicht zuletzt von zahllosen Filmschauspielerinnen, in deren biographischen
Erzählungen selten die Nachstellungen durch Hitler und Goebbels, der
großen Verführer, fehlten, denen sie sich mühsam hatten
entziehen müssen - »Kulturindustrie ist pornographisch und
prüde.« (Horkheimer/Adorno)
In deutsche Unterhaltungsmedien eingelegt, bleiben all die unverdaubaren
ideologischen Brocken, die völkischen Tugenden, Reinheitsphantasmen und
Verfolgungssehnsüchte so taufrisch wie sonst nur noch in der
Kindererziehung. Hier ist das Leben noch einfach und unverstellt, anders als im
schmutzigen Geschäft der Politik; hier macht das postfaschistische Subjekt
sich frei von den ständigen Anforderungen der Arbeit, des Auslandes und
der Zivilisation. Wo es um nichts geht, darf man sich ungestört gehen
lassen. Die Träume von Allmacht werden erfüllt, solange sie
Träume bleiben, heißt das stets prekäre Angebot der
Kulturindustrie. Prekär deshalb, weil auch der Faschismus auf seine Art
nichts als eine Schmierenkomödie war, die keiner ernst nehmen konnte - ein
gigantischer (Alp-)Traum, der alle Realität in sich hineinsog.
Kontinuität gewähren nicht nur die Produktionen, denen man es - wie
Heimatschinken, Volksliedern, Landserromanen und dem DFB - ansieht. Gerade das
deutsche Vergangenheitsspektakel, das so penetrant die gute, ja weltweit
einzigartige Gesinnung der Beteiligten herausstellt, verlängert die
Barbarei ins Unendliche. All die konfektionierten Mahnmale, Feierstunden und
Sondersendungen, die Bilder, Phrasen und approbierten Gefühle machen die
Vernichtung marktgängig; über sie kann gesprochen werden, ohne sich
selbst gemeint zu fühlen. Die Plauderei über Auschwitz, aus der
nichts folgt, setzt Vernunft, Verantwortung, Humanität, kurz: die
Marksteine bürgerlicher Individualität außer Kurs - mehr als jedes Schweigen es könnte.
Insofern, als Postfaschismus die zwanghafte Versöhnung von
nationalsozialistischem Ausnahmezustand und demokratischem Normalvollzug meint,
findet er in der Kulturindustrie sein ideales Medium vor. Sie erlaubt, das
Ureigene, was das nationale Kollektiv zu sagen hat, der Sprache einzuschreiben,
die die Welt beherrscht. (Und nicht immer so krude wie in jener ersten, von
Seeßlen dokumentierten
Asterix-Übersetzung aus dem Hause
Kauka, in der die Schurken »jiddeln«, Römer
»chewing gum« kauen und Obelix alias »Barbarras«
statt eines Hinkelsteins einen »Schuldkomplex« auf dem
Rücken trägt. Heute vollbringt man dergleichen gekonnter - ohne doch
aufs Archaische Verzicht leisten zu müssen, das, wie im Falle Rammsteins,
vielmehr zum Markenzeichen von erfolgreichem Pop made in Germany
gehört.)
Derart angesprochen, fällt die Antwort der Welt, zumindest für
deutsche Ohren, verständnisvoll aus. Aus den Nazis in Hitchcocks Film
Notorious werden in der deutschen Synchronfassung, mit Zustimmung der
Produktionsfirma, Drogendealer. Gemeinsam be-kämpft man stattdessen in
Comics, Spionagethrillern und »Kongressen für die Freiheit der
Kultur« die rote Gefahr. Dass die mächtige Unterhaltungsbranche auf
einen rechnet, füttert das Ego: Als umworbener Konsument ist man wieder
wer. Ein Südstaaten-Junge mit
Schmalztolle und gemeingefährlichem Hüftschwung,
der Negermusik macht, aber nach seiner Stationierung in Deutschland
»Muss i denn zum Städtele hinaus« singt - das ist
Kulturindustrie, wie sie sein muss.
Weil sie synthetisiert, was - nicht zuletzt durch ihr Wirken -
auseinanderfällt, ist Kulturindustrie ein Hort der Widersprüche:
Inbegriff von Zweideutigkeit. Sie ist Extrem der Vermittlung, und will doch
nichts als das Unvermittelte, die Authentizität. Sie produziert, klein und
bescheiden, das harmlose Vergnügen für zwischendurch, und geht dabei
immer aufs Ganze. Sie will Sprache des global village sein, aber
zugleich den Nationen ein Bildnis ihrer Besonderheit ausstellen. Sie gibt
Kunst, die sich nichts Besseres dünkt, und doch vollgestopft mit
Bildungsauftrag ist. Fern davon, an diesen Widersprüchen zu explodieren,
existiert Kulturindustrie durch sie hindurch. Sie bilden den Motor ihrer
Bewegung, deren Resultat Mode heißt. Daher ist auch und gerade für
Opposition ein Plätzchen in ihr vorgesehen.
In Deutschland stand, und steht noch, der hegemoniale Kulturkonsum auf der
Seite angestrengter Sinnproduktion. Kein Fernsehen ohne gediegene, gesetzlich
vorgeschriebene Halbbildung; und selbst die Blödelwelle der neunziger
Jahre diente dem nationalen Anliegen, die eigene, mühsam eingeübte
Lockerheit stolz zur Schau zu stellen. Kein Wunder also, dass die
Unterhaltungswaren der Konkurrenz hierzulande als befreiend erlebt wurden; am
Beginn von wessen kritischer Karriere standen keine
Donald Duck-Comics?
Rock`n`Roll muss, umgeben vom Muff aus 1000 Jahren, wirklich als
Frischluftdusche gewirkt haben. Statt ihn in Reih und Glied zu zwingen, durfte
der Körper ungehemmt herumgewirbelt werden; Jungs, ehedem hart wie
Kruppstahl, achteten akribisch aufs laszive Äußere; und das deutsche
Mädel, das so etwas doch nicht tut, begann sich zu schminken.
Am Rock`n`Roll erweist sich jedoch auch die ganze Ambivalenz der
kulturindustriell präformierten Rebellion. Die Hingabe an Elvis Presley
& Co., auf welche die Elterngeneration mit ebenso hasserfülltem wie
hilflosem Entsetzen ansprach, vollzog sich im Schutze der stärkeren
Bataillone: in den Kneipen der GI`s und mit dem Segen des Marktes. Quittiert
wurde den Tätern, die sich als Familientyrannen häuslich eingerichtet
hatten, ihre Niederlage; nicht ihre Taten von einst, ihre Schwäche von
heute hatte ihre Machtposition delegitimiert. Insofern glich das Treiben der Halbstarken einer
konformistischen Revolte, die durch schicksalshafte Fügung ihren
nichtkonformistischen Ausdruck fand.
Dementsprechend leicht war sie zu integrieren: durch den Beweis, dass auch die
Eltern, mit ihren Mitteln, mit der Zeit zu gehen vermochten. Bravo handelte
zwischen den Generationen die akzeptable Kotelettenlänge aus, und Peter
Krauss und Conny Froboess, die deutschen Antworten auf die amerikanische
Herausforderung, wurden bereits von ihren Eltern gemanaget. So klang dann auch
die Musik.
Viel mehr gibt es auch über das nicht zu sagen, was aus 1968 wurde. Die
einen produzierten, Seit an Seit mit der Macht der Natur, Kulturindustrie in
Handarbeit, die anderen, Seit an Seit mit der Macht der Geschichte, Sequel
über Sequel zur KPD der Weimarer Republik. Kein Wunder, dass sie, in die
Jahre gekommen, sich alle gerne im Kino sehen.
Das sollte davor warnen, auch aktuell allzuviel Hoffnungen in die
emanzipatorischen Wirkungen von Kulturindustrie zu setzen. Unbestritten, dass
es erfreulich ist, wenn Teheraner Jugendliche lieber westlicher Popmusik
lauschen mögen als dem Gegeifer der Mullahs. Nur sollte man nicht
vergessen, dass der Islamismus selber ein durch und durch kulturindustrielles
Phänomen ist, vom
Snuff-Movie mit Geiseln im Internet bis zu den
Mannequins, die einem begeisterten Pu-blikum die neuesten Kopftuchmoden
vorführen. Da er zudem über die besseren Ressourcen verfügt,
stände eine Opposition, die sich auf die Anziehungskraft von Popstars und
Radiosendern verließe, schnell auf verlorenem Posten. In Ägypten
avancierten die
Protokolle der Weisen von Zion zur TV-Erfolgsserie.
Dass kulturindustrielle Produkte, die sich unprätentios als solche
einbekennen, im Angesicht des deutschen Bildungsphilistertums »heilsame
Zäsuren« zu setzen vermögen, hat Adorno, etwa im Falle der
Weillschen Musicals, theoretisch immer anerkannt.
6 Das entfesselte Amusement
hatte schon die Dialektik der Aufklärung als notwendiges Korrektiv der
Kunst visiert - und der Kulturindustrie dort zugetraut, wo sie, selten genug,
die ihr eigentümliche »eigensinnig-sinnverlassene
Könnerschaft« nicht an Bedeutung und Wirkung verrät.
Würde sie ihre eigenen Potentiale nicht in einem fort verraten - eine
wahrhaft niedere Kunst, die sich an nichts als an den Körper und dessen
Begierden hielte, wäre einer abgewirtschafteten Hochkultur, die selbst
Auschwitz überstanden hat, allemal überlegen.
Nicht allerdings im einfachen Sinne der Desillusionierung. Entauratisierung der
Kunst heißt nicht, ihr die Luft abzulassen und dabei an
Souveränität zu gewinnen. Gerade der Typus des Abgebrühten, der
nichts kauft, weil eh alles Schwindel sei, ist Produkt, nicht Widerpart der
Kulturindustrie. Deren Gerissenheit, die er zu durchschauen behauptet, zieht
ihn in Wirklichkeit an. Auf ihn rechnet sie daher, wenn sie, auf Schlagermoves
und im Trashfernsehen, siegesgewiss ihre eigene Infamie offensiv herausschreit.
Sich dem Pöbel überlegen zu fühlen, ist das ultimative
narzisstische Angebot des Mediums an den Zuschauer; statt mit den armseligen
Gestalten, die es vorführt, identifiziert er sich mit der Apparatur, die
auf sie hinabblickt. Darin besteht die Verbindungslinie zwischen
Deutschland
sucht den Superstar und der Videoüberwachung in Innenstädten.
Wer sich über den Dingen wähnt, ist zum Mitmacher prädestiniert;
erhaben ist es, als Klügerer nachzugeben. Man hat ja nichts zu verlieren.
Besiegelt wird der Umschlag von Hybris in Unterwerfung dann im korrupten Satz
von den Sachen, die so schlecht seien, dass sie schon wieder gut wären.
Vom selbstbewussten Konsumenten, der übers Fernsehprogramm schimpft wie
weiland über Goebbels-Schnauze, ist daher nichts zu gewärtigen. Wird
er aktiv, so als sein eigener, internalisierter
Kraft-durch-Freude-Funktionär, der sich in souveräner Willkür
die Vergnügungsquanten zuteilt, bevor ein anderer sie ihm wegschnappen
kann. Spuren des Besseren finden sich, wenn überhaupt, dann im Gegenteil:
in der selbstvergessenen Hingabe an die Technik. Die kindliche Lust des Kinos
am spektakulären Effekt, auch die Serie, der es tatsächlich gelingt,
die Zeit zwischen den Folgen in eine einzige quälend lange
Werbeunterbrechung zu verwandeln, bewahrt etwas davon. Der »Milkcow
Blues Boogie« von Elvis setzt an, bricht ab, bevor zu den Worten
»It don`t move. Let`s get real real going for a change« die Musik
mit unerhörter Intensität loslegt. In ihren besten Momenten
aktualisiert die Kulturindustrie ihr utopisches Versprechen vom Ende der
Langeweile.
Der institutionalisierten Erfahrungszerstörung Erfahrungen abzuringen,
gelingt nur durchs fragmentierte Individuum hindurch. Medial zergliedert und
von Widersprüchen zerrissen, gibt es dereinst vielleicht die Potenzen
frei, die im mit sich ganz identischen bürgerlichen Subjekt beschlossen
lagen und vorerst an die Technik delegiert worden sind.
Mimesis an die Apparatur heißt ja auch: Dienst am Kunden, dessen
Wünsche und Bedürfnisse man sich zu eigen macht. Identifikation mit
der Warenseele, wenn sie ganz gelingt, bewirkt, in Adornos Worten,
»sekundäre Humanisierung«. In Deutschland steht ihr das
verstockte Beharren auf dem eigenen, kostbaren Selbst entgegen, das man,
mitsamt seiner unverwechselbaren Launen und Eigenarten, so zu nehmen habe, wie
es ist. Die Verachtung des Anderen, die einem nicht nur in Berlin in jedem Bus
und jeder Bäckerei entgegentritt, prägt auch die hiesige
Kulturindustrie. Sie ist, aus Lieblosigkeit, immer ungelenker, als sie sein
müsste. Wer dessen ungeachtet deutsche Soaps oder deutschen Hip Hop dem
amerikanischen Original vorzieht, hat sich überwunden; auf den ist
Verlass.
Wo Kulturindustrie alles mit Ähnlichkeit schlägt, bewährt sich
Humanität wahrhaft an den kleinsten Unterschieden. Nichts bezeichnet daher
vielleicht die
Überlegenheit Amerikas besser, als dass dort die Tüllen der
Getränkepackungen sich wirklich mühelos offen lassen, wenn man mit
beiden Fingern auf die markierten Stellen drückt. Hierzulande
funktionierte das, wie auf geheime Verabredung, nie, und inzwischen haben die
Hersteller auf den Versuch auch längst verzichtet.
Der Autor ist in der Hamburger Studienbibliothek assoziiert.
Der Text entstand während der Vorbereitungen zu einer Veranstaltung
anlässlich des 15 jährigen Jubiläums des Conne Island.
Anmerkungen
1 Wer sinnlich erleben will, wie es um die Traumhochzeit von Pop und
Subversion steht, der höre nur gut zu. Z.B. bei
Blumfeld: Man
singt da inzwischen Schlager für Bruder Bär und Schwester Tomate.
2 Ohne sie doch reines Gewissens annehmen zu dürfen. Jeder pursuit of happiness ist immer auch ein Exzess, der die Harmonie mit dem Selbst aus dem Gleichgewicht zu bringen droht. Die freie Wahl zwischen
schlapp & dick und schlank & gesund ist nur solange einfach, wie einen die Krankenkassen nicht nachdrücklich auf die Risiken intensiver sportlicher Betätigung hingewiesen haben.
3 Ein Vorgang, der in der mikroelektronischen Revolution der Produktivkräfte noch einmal sich wiederholt.
4 Die, in Form von Imagekampagnen, auch den Löwenanteil der Herstellungskosten ausmacht.
5 Als seine Karriere den Zenit überschritten hatte, war er, wie die Mitscherlichs in
Die Unfähigkeit zu trauern feststellten, dementsprechend schnell vergessen.
6 T. W. Adorno »Vortrupp und Avantgarde«, Ges. Schriften Bd. 18, S. 802