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Uli Schuster
Zwischen Schwarz-Rot und Schwarz-Rot-Gold.
Das Conne Island in der Modernisierungsfalle

I

Der nationale Taumel während der Fußball-WM hatte mit dem Conne Island auch ein antinationales Vorzeigeprojekt erfasst. Deutschlandfahnen im Conne Island. Dass war vor allem deshalb schwer zu verstehen, weil das BetreiberInnenkollektiv in Sachen nationaler Parteinahme es bisher öffentlich nie an expliziter Ablehnung mangeln ließ und quasi zeitgleich zur WM mit der Kampagne »I Can't Relax In Deutschland« durch die Metropolen Deutschlands tingelte, um gegen die popkulturell modernisierte Heimatidentifikation zu agitieren.
    Die mehr oder weniger stillschweigende Akzeptanz eines positiv zu diesem neuen Deutschland stehenden Fußballpublikums zeigte zwar keine Positionswende des Projekts an. Es war allerdings eine fatale Unterlassungsleistung. Sie geschah in einer Situation, in der sich der geläutert und liberal gebende Identifikationswahn gegen letzte Widerstände durchsetzte. Fatal vor allem auch für das Conne Island selber, verschenkte es doch ein Stückweit vom Anspruch politischer Nonkonformität und damit von einer Ressource, die nach dem Ende des Subversionsmodell Pop als letztes und wichtigstes Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Kulturprojekten übriggeblieben war.

II

Kritiker freilich, hatten diese politische Glaubwürdigkeit schon immer in Frage gestellt. Jenen, die Konsumverweigerung mit Kapitalismuskritik gleichsetzten, war der Laden schon kurz nach seinen anarchistischen Anfangszeiten mit jeder Preiserhöhung ein Kommerzprojekt. Für andere blieb es nicht nachvollziehbar, wie ein antifaschistischer Laden der Skinheadsubkultur Räume öffnet, war doch offensichtlich, dass diese vielleicht nicht organisiert politisch war, wohl aber aus politisch und ganz eindeutig national denkenden Anhängern bestand. Die umstrittenen Entscheidungen der Vergangenheit stützten sich trotzdem auf überzeugende Argumente: Kulturelle Horizonterweiterung über die Selbstbezogenheit der autonomen Szene hinaus im ersten Fall. Die Überlegung, den Nazis subkulturelles Terrain streitig zu machen im zweiten. Unter heutigen Gesichtspunkten ließe sich da nachhaken. Der Anspruch kultureller Innovation bringt nicht viel mehr als Schulden. Die Skinheads und ihr Relikt der alten nationalen Arbeitersuffkultur sorgen wenigstens für Geld und in homöopathischen Dosen auch für Fun. Ob aber die politische Kosten-Nutzen-Rechnung zu Zeiten der Staatsantifa noch aufgeht, muss zumindest immer wieder hinterfragt und begründet werden.
    Die alternative Nationalfarbenshow der postmodernen Fußballpatrioten verweist auch in diesem Zusammenhang auf einen seltsames Missverhältnis. Dort wo siebzehnjährige Teenager nicht den Eingang passieren dürfen, wenn sie mehr mit Gefühl als mit Verstand ein Palestinensertuch tragen, dürfen schwarz-rot-gold bemalte Studies ohne Erklärungsnot genießen? Die offensichtliche Unterschätzung der Verbreitung des Deutschlandvirus, die Anzeichen von politischer Resignation und auch die finanzielle Notlage sind nachvollziehbare Erklärungen aber im Vergleich zu früher keine Argumente mit Überzeugungskraft.

III

Das Geschehene ist aber nicht einfach nur ein Fehler, der sich dem Laden schnell ankreiden und noch weniger schnell beheben ließe. Vielmehr entstammt er einem schwierig aufzulösenden Dilemma. Das Conne Island war in seiner Ausrichtung nicht nur Akteur, sondern immer auch ein Produkt der Verhältnisse. Die genaue Definition des politischen Andersseins richtete sich nach dem, was gesellschaftlich vorherrschend war, und dem Potential an Protest und Widerstand, welches über einen lokalen Szenekreis hinaus als sogenannte radikale Linke hervorgebracht wurde. Die spezifische Offenheit Anfang der Neunziger Jahre im Osten, als verunsicherte Polizisten in den besetzten Straßenzügen bei den Chaoten höflich um die Erlaubnis des Streifefahrens nachsuchten, schien anarchistische Utopien greifbarer zu machen. Doch schon im selben zeitgeschichtlichen Moment zeigte der rassistische Terror gegen Flüchtlinge in Rostock, Hoyerswerda, Solingen und all den nach und nach schon wieder vergessenen Orten der mörderischen Pogrome von damals genauso wie die alltäglichen Angriffe von Nazis auf Homosexuelle, Behinderte, Linke und ihre Projekte die Grenzen alternativer Experimente. Die völkische Offensive forderte nicht nur im Inneren Hunderte Opfer. Keine zwei Jahre nach der Einheit machte sich die deutsche Außenpolitik an die ethnische Parzellierung Südosteuropas und schuf so auf der Grundlage bereits in zwei Weltkriegen erprobter geopolitischer Konzepte mit diplomatischer Intrige und Krieg den Hinterhof aufs Neue. Die Gefahr einer Wiederholung der Geschichte galt nicht nur Skeptikern der Wiedervereinigung in London und Paris als real. Auch in der Linken wurde die Angst vor einem »Vierten Reich« als Worst-Case-Szenario ernst genommen. Dass sich in dieser Situation mit den Antideutschen ein inhaltlich radikaler Teil der Linken zum dominanten politischen Einfluss im Conne Island entwickelte war Ergebnis einer vernünftigen Verknüpfung von linken Analysen und daraus folgenden Handlungsoptionen: Mit der Orientierung an Positionen, die in Zeitschriften wie Konkret, Bahamas oder der schon lange verschwundenen 17 Grad publik wurden, verband sich die Ablehnung des in der Gesellschaft flächendeckend verbreiteten völkischen Nationalismus als einer der wichtigsten Konstitutionsbedingungen der deutschen Wiedervereinigung. Zugleich übernahm sie die Kritik an der sich gerade damals als völlig absurd erweisenden Hoffnungen, regressive Massen auf emanzipatorische Ziele verpflichten zu können. Die positive Aufnahme militanter Politikformen wiederum war ein Gebot von Selbstschutz aber auch bewusste positive Anknüpfung an den linksradikalen Traditionsbestand, sich in der Wahl der Mittel nicht vom staatlichen Disziplinargebot einschränken zu lassen.
    Was bis zum Ende der Neunziger Jahre eine relativ kohärente politische Orientierung gegenüber dem gesellschaftlichen Mainstream erlaubte - gegen die deutsche Mehrheitsbevölkerung, die ihre Nazis verniedlichte und in Opposition zu einem Staat rassistischer Gesetzgebung - geriet danach zunehmend in Schwierigkeiten. Ein anderes Modell von Deutschland hatte sich in den Jahren nach der Wende durchgesetzt. Die zivilgesellschaftlichen Mobilisierungen unter der rot-grünen Vorgängerregierung signalisierten augenscheinlich den nicht unwesentlichen Bestandteil gesellschaftlicher Modernisierung. In einem Mix aus ideologischer Neuorientierung durch die Generation der 68er und den ökonomischen Interessen des Exportweltmeisters veränderte sich der nationale Bezugsrahmen und mit ihm gewissermaßen der Resonanzboden linker Kritik wie er Jahre lang auch für das Conne-Island-Kollektiv prägend war. Im neoliberalen Deutschland erwies sich das, was noch bis zum Ende der neunziger Jahre als finstere Vision von der Wiederholung deutscher Geschichte relevant erschien und
    ebenso als Mobilisierungsmodell für die Linke funktionierte für die Nation selbst als Wettbewerbsnachteil. Standort statt Blut und Boden. Zivilgesellschaft statt Volksgemeinschaft. Fischer statt Walser. Rot-Grün initiierte eine Staatsantifa, die ebenso wenig wie die autonome Antifa die Nazis abschaffte, dieser aber den »Hebel« bzw. »Ansatzpunkt« einer weitergehenden linken Politisierung nahm. Auch dem Conne Island ging damit ein Teil seiner Identität verloren. Was nicht heißt, dass es keinen Gegenstand für Antipolitik mehr gegeben hätte. Der modernisierte Wettbewerbsstaat Deutschland wurde trotz seiner zivileren Elemente noch lange nicht zu einem Ort der Erbauung. Er konstruierte sich immer noch gegen die Anderen als Schicksalsgemeinschaft, auch wenn er diese im Staatsbürgerschaftsrecht verbürgerlichte und mit Europa und seinen Regionen neue Identitätsansätze anbot. Innerhalb weniger Jahre wurden Krieg und Militäreinsätze, wenn auch unter neuen Bannern, zur Normalität eines kaum noch hinterfragten deutsch-europäischen Weltmachtprogramms. Zudem die immer härtere Zurichtung der Individuen auf die Erfordernisse des Marktes in Schule und Beruf. Flexibilität als ideologisch verklärter Zwang zur anspruchslosen Auslieferung an die Interessen des Kapitals bei gleichzeitigem Abbau sozialer Errungenschaften vergangener Tage. Auch das blieb nicht folgenlos für die politische Mentalität, die sich im Conne Island sammelte. Wo früher noch mit einiger Ruhe über Rebellion als Lebensprojekt nachgedacht werden durfte, mahlen heute ganz andere Mühlen. Umgeben von den Strebern der Generation Praktikum werden auch die widerständigen linken Studenten durch die nach Effizienzkriterien modulierten Studiengänge gejagt und in objektiver Übereinstimmung zur europäischen Wirtschaftsintegration über die Erasmusstudienplätze des Kontinents verteilt. So wie im alten fordistischen Nationalstaat die männliche Normalarbeitskraft gerne nach der Einheit, in der sie gedient hatte, gefragt wurde, interessiert heute die im Ranking vorne stehende Universität und der Auslandsaufenthalt. Wer bei soviel Anpassungsdruck noch mit Leidenschaft und Ausdauer Zeit in einem linken Stadtteilprojekt verschwendet, ist schon selber schuld.

IV

Trotz dieser überaus sichtbaren und spürbaren Misere entwickelte die Linke kein adäquates Programm, das der gesellschaftlichen Renovierung angemessen gewesen wäre. Mühselig die Gründe zu diskutieren. Die Folgen aber, Richtungsstreit, Entradikalisierung, ja Entpolitisierung waren und sind im Conne Island, vor allem in Bezug auf seine Ausstrahlungskraft spürbar. Weil die Gruppen, die einst den politischen Gehalt des Ladens speisten an Bedeutung verloren, verlor auch der Laden als politisches Projekt an Bedeutung. Kulturpolitische Debatten gegen deutschen Popfirlefanz taugen nicht als Alibi, bewegen sie sich doch in einer Szene, die zuvorderst über Geschmack diskutiert, deswegen schnell und billig zu erschrecken ist, um dann mit dem immer selben Gestus des Interesses zu reagieren, der sich Distinktion verspricht. Auf der Ebene des wahren Lebens verlor das Projekt jedoch seine lange innehabende Deutungshoheit über linksradikale Politik in Leipzig. BesetzerInnenkongresse, Antifademos, Kampagnen gegen Polizeigesetze und Überwachungswahn - was früher aus der aktiven Gruppenlandschaft des Conne Island kam und so auch immer die anderen im Projekt mitzog, hatte Relevanz, die sich in Teilnehmerzahlen, Öffentlichkeit, im Mythos des Autonomenladens und anhand der Attraktivität für jugendliche Antis bemessen ließ. Wenn heute die Ladenpolitniks und ihre gruppenähnlichen Zusammenhänge zur Aktion blasen, wie jüngst eine in diesem Sommer gegen die Zumutungen der Sicherheitsgesellschaft, dann ist das wie Fußball in der dritten Kreisklasse. Nicht mal die Hälfte der Involvierten schaut hin und ehrlich gesagt, darüber hinaus interessierte es doch auch keine Sau. Mit Herzblut betriebene und vom Conne Island unterstützte Politik sah jedenfalls schon mal anders aus. Ähnlich deprimierend die Rezeption des Ladens durch Jugendliche, von denen man sich solche erhofft, die wie die Kader von heute im Conne Island ihre Rebellenkarriere beginnen. Doch man muss sie wohl nach den Teeniediskos einsperren, um ihnen etwas erzählen zu dürfen oder mit dem Hundefänger vor den Schulhöfen wegschnappen. Auf die bis zur persönlichen Erniedrigung reichende Werbeangebote vor den Gymnasien dieser Stadt und die damit gepriesene linke Einsteiger-Education aus dem Conne Islands reagieren sie jedenfalls nicht.

V

Das kam nicht einfach alles über das Conne Island von außen hereingebrochen, da wurde insbesondere von den Politgruppen mitgetan. Im Bemühen die gesellschaftlichen Veränderungen auf den Begriff zu bringen, suchten viele Postantifas auch hier nach einer Art Weltformel. Auch wenn die daraus hervorgegangenen wertkritischen Erklärungsansätze sich in internen Deutungskämpfen schon wieder fast bis zur Unkenntlichkeit zerrieben haben, führte die theoretische Anstrengung zwangsläufig auf ein abstrakteres Feld der Auseinandersetzung. Über die richtige Ablehnung autonomer Theoriefeindlichkeit hinaus, konstruierte man den Popanz »Praxisfetischismus« um die eigene Suche ein wenig klarer, die eigene Position ein wenig wahrer erscheinen zu lassen. Mehr unbewusst als strategisch gewollt verschob sich so auch ein stückweit das Terrain linker Selbstidentifikation im Conne Island. Denn dessen politisches Selbstverständnis war immer Resultante der hier aufeinandertreffen Gruppen und individuellen Positionen. Eigene Forderungen auf die Straße bringen, konkrete Missstände beseitigen wollen, Demos, Aktionen, Militanz das war jetzt für viele alter Scheiß, gut für Globalisierungskritiker. Na klar wäre ein wöchentliches Conne-Island-Attac-Plenum musikalisch umrahmt von Panteon Rococo und Manu Chao in der Endlosschleife eine Horrorvision. Trotzdem, gerade auch eine Haltung, die in der globalisierungskritischen Bewegung einen ihrer schlimmsten Feinde erblickt, die links per se mit »antisemitisch« gleichsetzt und in der liberalen Bürgerlichkeit noch die realste Hoffnung gegen postfaschistischen Gefährdungen sieht, haut in die falsche Kerbe. Konkrete soziale, antirepressive, antimilitaristische, antisexistische Politik, ja einfach nur kämpferische Interessenvertretung von unten hat heute auch deshalb bei vielen einen schlechten Leumund. Als vor ein paar Jahren das Finanzamt das Conne Island an den Rand des Abgrundes drängte, da waren dort linksradikale Grundtugenden, wie prinzipielles Misstrauen gegenüber der Verwaltung und Bürokratie, die Ausführung öffentlichen Ungehorsams, die praktische Ignoranz des bürgerlichen Rechts, die Störaktion auf der Straße, mit anderen Worten kämpferische Formen der Verteidigung und der Aneignung schon so geschliffen, dass nur schwerfällig ein Umlenken in Richtung Widerstand gelang.
    Allerdings waren es keine bewussten Entsolidarisierungen politischer Gruppen gegenüber dem Conne Island, die sich hier Bahn brachen. Aber so wie sich die Bedeutung einer radikalen Linken veränderte, ihre Debatten sich auf theoretische Wahrheitsfindung konzentrierten und linke Lebensläufe vielmehr an ökonomischen Zwängen orientieren, verlor das Conne Island als Gegenstand und Ort linker Strategiediskussion an Bedeutung. Sicher, dass CEE IEH als publizistisches Mitteilungsorgan wurde noch von seinen Autoren gelesen, es gab weiterhin eine inhaltlich begründete Türpolitik, deren polizeiliche Dimension noch am ehesten ans alte Selbstverständnis von »Nazis raus« anknüpfen konnte. Für eine vor allem auf subkulturelle Identifikation orientierte Fraktion war diese Entwicklung ohnehin bequem. Unterm Strich aber litt die politische Selbstverortung, das herausragende, wenn auch schon früher oft nur oberflächlich verankerte Profilmerkmal des Conne Island. Die am Boden liegende linke Gruppenlandschaft gab kaum noch Impulse: Entweder die alte und im Laden lange durchgesetzte Leier vom Antiamerikanismus und der »antisemitischen Internationale«. Oder akademisch wirre Debatten von »Nicht-mehr-links-sein-Wollenden«, die mit den Möglichkeiten und praktischen Notwendigkeiten eines soziokulturellen Stadtteilprojekts kaum koppelbar waren.

VI

Es sind die beschriebenen Umstände, die erklären, warum die Kritik am neuen Patriotismus zwar schickes Exportprodukt, nicht aber zu einem breit geteilten und konsequent vertretenen Standpunkt des Conne Islands wurde. Das ist weder eine Entschuldigung noch eine Untergangsprognose für das Projekt. Es zeigt aber, dass das Conne Island ohne eine gemeinsam geteilte Antihaltung, ohne die eigene, und heute notwendigerweise viel mehr vom eigentlichen Betreiberkollektiv ausgehende Anstrengung inhaltlicher Diskussion, schließlich ohne ein Verständnis von Links, das über eine moralische Anti-Nazi-Haltung hinausgeht, die Ununterscheidbarkeit mit der Masse rundgelutschter Kulturschuppen und ihren integrierten Alternativsegmenten droht. Das Conne Island ist links oder es ist nicht.

Der Autor ist Mitglied der Phase 2-Redaktion
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15jahre.conne-island.de - Broschüre zu 15 Jahre Conne Island - 9. September 2006