Einleitung
zu 15 Jahren Conne Island
Mit einem gewissen Charme mutet das Quasi-Gründungspapier des Conne
Islands aus dem Jahre 1991 an. Damals hatte der Begriff
»Idealismus« noch eine Bedeutung, die sich heute nur erahnen
lässt, damals war die Vorstellung von Rebellion noch in eins gedacht mit
großen gesellschaftlichen Veränderungen anstelle mit
größtmöglicher Distinktion, damals waren die Zeiten sowieso
härter. Das Abgrenzen von den bestehenden Verhältnissen und der Wille
und Wunsch nach der Verknüpfung von Kultur und Politik, waren das
Maß, an dem sich das frisch gegründete Projekt - damals noch unter
dem Namen Reaktion - messen lassen wollte. Das Conne Island vermittelte
fortan stets einen Ansatz, der das »Gegebene nicht einfach hinnehmen und
die Welt nicht als Fertigmenü begreifen wollte«, dem die
Installierung eines kritischen Alltagsbewusstseins gegenüber dem
Bestehenden entscheidendes Kriterium für seine kulturelle Ausrichtung war
und für den die »Beheimatung« politischer Projekte
prägendes Wesensmerkmal sein sollte.
Politische Maximalforderungen und Ideen mussten relativ schnell der
Realität des Alltags weichen. Die Nachwendesituation, in der die Nazis die
neue politische Avantgarde der Rückwärtsgewandheit bildeten und der
Rest der Bevölkerung entweder in konsumgeilen oder rassistischen -
schlimmstenfalls in beiden - Stereotypen dachte, kreiierte eine Atmosphäre
voller gefährlicher Dumpfheit und einen Alltag, in dem linke
Freiraumkonzepte einer permanenten Verteidigung bedurften. Der Beitrag von
Klappi, einem Eiskeller-Mitarbeiter der ersten Stunde, vermag diese Situation
mit »Dem Gefühl von Gleichberechtigung« vielleicht
aus heutiger Sicht etwas sentimental, trotzdem treffend zu beschreiben.
Insofern prägte die ständige Verteidigungsposition, in der sich das
Conne Island und sein Umfeld Anfang bis Mitte der Neunziger befand, die
Handlungen seiner MitarbeiterInnen bis heute. Dass man in diesen Zeiten nicht
bestimmender Akteur sein konnte, auf ein Reagieren beschränkt blieb und
letztlich erkannte, dass ein Herausbeamen aus den Verhältnissen nicht
möglich war, man irgendwann - spätestens im sogenannten Antifasommer
- sogar zum Stichwortgeber und Mitkämpfer einer
zivilgesellschaftlich-rot-günen Antinazi-Mobilisierung wurde, waren die
bitteren Momente des Erkenntnisgewinns.
Conne Island Gedächtnis
Mit dem Zehren aus vergangenen Zeiten verhält es sich im
Mikrokosmos der Koburger Straße 3 ähnlich wie in der großen
Geschichte: Gemeinsame Erinnerungen stiften Identität, sie werden
unablässig für die aktuellen Zwecke mobilisiert, mit ihnen wird der
Kurs für zukünftiges Handeln festgelegt. Das Conne
Island-Gedächtnis funktioniert seit Jahren nach einem ähnlichen
Modus. Die eigene Vergangenheit dient der Repräsentation und
Manifestation, sie wird fragmentiert in Argumentation zur Legitimation
angebracht, dient zur Selbstvergewisserung und schaffte es bis heute,
unterstützend durch den Gründungsmythos und die nachfolgenden
»wilden Jahre«, ein Bild des Ladens zu zeichnen, das nicht immer
der Realität entspricht, aus dem sich allerdings die Pfeiler einer
15-jährigen Existenz herauskristallisieren lassen.
Die antifaschistischen Notwendigkeiten, die sich Anfang der neunziger Jahre im
Zuge von Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Grevesmühlen ergaben und die
durchaus analytisch scharf eingeschätzt wurden -
damals sprach man bereits vom »rassistischen Konsens«, der sich
durch alle Schichten der deutschen Gemeinschaft zog - wirkten schnell als
Synonym für das Projekt Conne Island. Die symbolische Außenwirkung
als Antifa-Laden brachte eine Politisierung und eine antideutsche
Radikalisierung ins Haus, auf deren schon damals richtigen Einschätzung
des »Deutschen Wesens« noch heute die Analysen der BetreiberInnen
aufbauen.
Als zweiter Pfeiler diente jahrelang die Idee der kulturellen Intervention
durch das Modell »Subkultur«. Die Intention, eigene
Spielräume innerhalb der Kulturindustrie zu schaffen, in einer
»gelebte Systemfeindschaft« zwischen Sub- und Mainstream sich die
Illusion nach Utopie und gelebter Gegenkultur zu bewahren, verkam, für
viele überraschend, weil an die eigenen Nieren gehend, zur
oberflächlichen Phrase. Die ästhetische Differenz zum
bürgerlichen Geschmack und seiner Warenförmigkeit als etwas
Politisches zu kennzeichnen, war angesichts der Tatsache, dass die selbst
gelebte und zelebrierte Dissidenz immer mehr zum Stillen der individualisierten
Bedürfnisse einer gleichgeschalteten hippen Popkultur beitrug, nicht mehr
tragbar. Bis heute hat das Conne Island - weniger in der Theorie als in der
praktischen Umsetzung von Kultur - mit dieser Konsequenz zu kämpfen. Im
Interview mit Roger Behrens werden vielleicht die Antworten auf die
Fragen gegeben, die sich manch kritischer Poptheoretiker und vergnatzter
Hardcore-Freak seit Jahren stellt. Was hat das Modell
»Subversion« damals ausgemacht? Wie ist Kulturindustrie
konstituiert und wo sind heute die fragmentarischen Ansatzpunkte, innerhalb von
Popkultur kritisch zu intervenieren?
Vielleicht ist Behrens' Ausblick, dass sich heute Kritik doch vielmehr
»um den Kampf um Zerstreuung« drehe als eine wirkliche
»revolutionäre« Perspektive zu entwerfen, auch Ausdruck
einer Entwicklung, die das »Kulturelle« aus seiner politischen
Aufladung »befreit«. In den »Seiten der
Wichtigsten« - einer kritischen Betrachtung der Rudimente
subkultureller Artikulation - wird diese Tendenz zumindest nicht verworfen.
Der Frage nach den kulturindustriellen Realitäten und Perspektiven gehen
auch Hannes Gießler und Lars Quadfasel nach, wenn sie die
Kulturindustriethesen der Dialektik der Aufklärung auf ihre
emanzipatorischen und antiemanzipatorischen Aspekte abklopfen. Die Bedeutung
kulturindustrieller Waren in der islamischen Welt ist in diesem Kontext nicht
nur aufgrund der Videoclip-mäßigen Auftritte von Al Kaida
interessant, sondern auch im Vergleich mit der Nutzung von Kulturwaren im NS.
Anspruch und Wirklichkeit
In den Diskussionen zum 10-jährigen Bestehen des Conne Islands
kreisten nicht wenige Fragen um die Bedeutung des Projektes als »Linkes
Zentrum«. Das Verhältnis zwischen postuliertem Anspruch und
gesellschaftlicher Realität scheint bis heute den Meisten, selbst den
freundlichsten KritikerInnen, am Herzen zu liegen. Nicht umsonst versuchen sich
nicht wenige Beiträge dieses Heftes in der Darstellung der Wirkung als
politischer »Sendemast«.
Alexander Lange untersucht in seinem Text die Geschichte des
Eiskeller-Gebäudes, das Anfang des 19. Jahrhunderts noch in
dörflichem Ambiente ein durchaus besinnliches Dasein als
Ausflugsgaststätte fristete. Dass auch die HJ das Gelände nutzte, mag
als interessante Mikrogeschichte für die Chronik des Ladens von Interesse
sein, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
LadenbetreiberInnen sich vor sechs Jahren, als es darauf ankam, die richtigen
Konsequenzen deutscher Geschichte zu denken, nicht sonderlich mit Ruhm
bekleckerten. Dass auf das Gebäude ein Restitutionsanspruch, vertreten
durch die Jewish Claims Conference, bestehen könne - das
Gelände also durch »Arisierung« letztlich auch in unseren
Besitz gelangte - brachte neben beständiger Verdrängung auch
verrückte Argumente gegen eine mögliche Rückgabe zu Tage. Dass
es sich am Ende nicht um eine »Arisierung« handelte, ein Anspruch
daher nicht bestand, hatte zwar viele erleichtert, um die Frage, was wäre
wenn, konnte sich jedoch elegant gedrückt werden. Kein Ruhmesblatt also,
auch wenn die Diskussionsveranstaltung zum zehnten Geburtstag des Conne Islands
das Dilemma zumindest halbwegs zufriedenstellend zu diskutieren vermochte.
Unter ganz anderen historischen Vorzeichen stand die Entwicklung und
Durchsetzung des Infoladens. Von Anfang an hatte das Projekt nur durch
extremes persönliches Engagement eine
»Überlebensmöglichkeit«. Musste der Infoladen in seiner
Entstehung noch gegen die Vorurteile der alteingesessenen BetreiberInnencrew
kämpfen, so ist es heute die Frage nach einem sinnvollen Agieren
»Zwischen Hausstaubmilben, Hausarbeiten und Halbleitern«,
die sich gestellt wird. Der Infoladen ist, das kann getrost gesagt werden,
eines der aufwendigsten und beständigsten Projekte des Conne Islands,
gleichzeitig sein am geringsten geschätztes. Das zumindest beklagt
berechtigterweise der Beitrag seiner MacherInnen.
Dass sich mit dem Wegbrechen von »Antifa« als Bindeglied und den
damit verbundenen identitären Luftlöchern auch der (kultur)politische
Horizont des Conne Island veränderte, in gewissen Maße auch
erweiterte, steht außer Frage. Quantitativ ist das Bekenntnis der
Ladencrew zu tagesaktuellen Missständen so offensichtlich wie nie. Das
dokumentiert der Text der Redaktion dieser Broschüre, »Ein
Streifzug durch die jüngste Vergangenheit des Conne Island«,
deutlich. Bei der Kritik der popkulturellen Modernisierung des deutschen
Nationalismus, bei Antisemitismus und Antiamerikanismus und beim Aufspüren
rückwärtsgewandter Antimoderne, die sich gegen eine kosmopolitische
Bestimmung von Popkultur richtet, ist man zumindest dahingehend vorne dran,
dass das Feedback stimmt. Ist das Conne Island, wie Doris Liebscher in
ihrer These zum »Resonanzraum Kultursektor« feststellt,
der optimale Multiplikator - da nicht so marginalisiert, wie die politischen
Gruppen - für die provokante Vermittlung des gesellschaftlichen
Übels? Oder zeigt diese Tendenz, die sich nicht ohne Grund in einer Krise
der Postantifa einstellte, eine fast nicht mehr wahrnehmbare Diskussion der
Leipziger Politlandschaft auf, die auf der Suche nach der absoluten Wahrheit
der jeweiligen Theorieschule seit geraumer Zeit nicht mehr in der Lage ist,
eine Relevanz, geschweige denn Wahrnehmbarkeit zu entwickeln. Uli
Schuster jedenfalls sieht das Projekt an dieser Stelle in die
Modernisierungsfalle getappt, wenn er im Beitrag »Zwischen
Schwarz-Rot und Schwarz-Rot-Gold« das Dilemma und die Hilflosigkeit
des Conne Islands während des Weltmeisterschaftsnationalismus als Ergebnis
einer verlorengegangenen »politischen Nonkonformität«
diskutiert haben möchte. Das Conne Island hat, so Schuster, nur dann eine
Perspektive, wenn es sich unterscheidbar macht »von der Masse
rundgelutschter Kulturschuppen«. Diesen Zustand beizubehalten und wenn
nötig wieder sichtbarer zu machen, ist Ziel genug für die
nächsten fünf Jahre. Es gibt genug zu tun.
15jahre.conne-island.de - Broschüre zu 15 Jahre Conne Island - 9. September 2006