Infoladen im Conne Island
Zwischen Hausstaubmilben, Hausarbeiten und Halbleitern
14 Jahre Infoladen Leipzig - davon 11 Jahre im Conne Island
Die Vorvorgeschichte
Infoläden gibt es in Westeuropa seit den achtziger Jahren.
Schwerpunkt der Infoladenbewegung war allerdings die BRD. Die autonome Bewegung
reagierte mit der Einrichtung von Infoläden auf den Niedergang linker
Buchläden, die sich nach 1968 in fast jeder Stadt etabliert hatten, und
auf die oft von staatlicher Seite erzwungene Schließung autonomer Zentren
in besetzten Häusern. Die Infoläden waren Teil des linken Konzeptes
»Gegenöffentlichkeit«. Dahinter stand die -
hier etwas platt wiedergegebene - Vorstellung, dass die Herrschenden mit ihrer
Macht über die Medien das gemeine Volk manipulieren würden und
authentische Informationen von unten die unterdrückten Massen über
die Wahrheit aufklären könnten. Dies wäre die Voraussetzung
für die herbeigesehnten revolutionären Umwälzungen. Eine
Minderheitenströmung verstand unter
»Gegenöffentlichkeit« jedoch mehr eine Abgrenzung sowohl von
den herrschenden Medien als auch von deren KonsumentInnen, die gar nichts
anderes als
BILD oder
FAZ lesen und
ARD oder
RTL
glotzen wollen. Die Alternativzeitungen, Freien Radios oder Infoläden sind
diesem Verständnis nach nicht in erster Linie zur Aufklärung der
Massen bestimmt, sondern zur szeneinternen Kommunikation, zum Austausch
über Strategien und Erfolge der eigenen politischen Bestrebungen und zur
Selbstvergewisserung.
Die meisten Infoläden entstanden innerhalb von besetzten Häusern oder
alternativen Kulturzentren. Oft verbunden mit einem Café oder einer
sogenannten
Volxküche sollten sie ein niedrigschwelliges Angebot
schaffen, um mit linker Literatur in Berührung zu kommen. Oft dienten und
dienen die Räumlichkeiten und die Technik der Infoläden den Treffen
und der Arbeit diverser politischer Gruppen der jeweiligen Stadt. Sie sind aber
auch Kommunikationsort und Treffpunkt für unorganisierte Leute; es liegen
Flyer für Demos und Veranstaltungen aus, es kann gequatscht
und gelesen werden. In vielen Städten ist der Infoladen der erste
Anlaufpunkt, um Zugang zur linken Szene zu bekommen. Etliche Infoläden verstehen sich selbst als politisch aktive
Gruppe und führen Veranstaltungen oder Aktionen durch. Darüber hinaus
sind Infoläden neben wenigen linken Archiven der einzige öffentliche Ort, an
dem Publikationen der sozialen Bewegungen - die sogenannte
Graue Literatur - archiviert werden. Die im Infoladen aufbewahrten
Zeitschriften, Broschüren, Plakate und andere Materialien lassen sich zum
größten Teil in normalen Bibliotheken oder Archiven nicht finden.
Somit sind Infoläden auch wichtige Punkte für die zeitgeschichtliche
Forschung.
1
Die Vorgeschichte
Kurz nach der Wende werden - wie auch anderswo in der Stadt -
Häuser in der
Ernestistraße besetzt. Die Ernestistraße
in Connewitz ist kurz und steht leer, so dass fast der komplette
Straßenzug von den HausbesetzerInnen in Beschlag genommen wird. In Haus
mit der Nummer 9 - besetzt seit Januar 1991 - richten einige BewohnerInnen im Jahr 1992 ein
Info- und Lesecafé
ein. Orientiert wird sich dabei an ähnlichen Projekten in linken Zentren
und besetzten Häusern in Westdeutschland - sowohl organisatorisch als auch
inhaltlich. D.h. dieser Vorläufer des Leipziger Infoladens ist stark
antiimperialistisch ausgerichtet, im Mittelpunkt der Arbeit steht u.a. die
Solidarität mit den »unterdrückten Völkern« in
Palästina und Kurdistan.
Am 14. April 1993 wird die gesamte Ernestistraße geräumt - auch das
Haus Nr. 9, obwohl dieses Haus bereits erfolgreiche Vertragsverhandlungen mit
der Stadt aufgenommen hatte und von einer Räumung ausgenommen bleiben
sollte.
2 (Die Ernesti 9 wird dann nach Reudnitz in zwei Notunterkünfte der
Stadt Leipzig ins Exil geschickt und erhält zwei Jahre später die
Braustraße 20, das
B123.)
Nach der Räumung kommt der Infoladen im
ZORO (einem ebenfalls
besetzten linken Kulturprojekt in einer ehemaligen Fabrik in Connewitz) unter.
Er erhält zusammen mit einem linken Buchladen, der die Bücher von
Anares Nord vertreibt, zwei kleine, feuchte Räume unterm Dach. Der
Buchladen verfügt über eine eigene Bibliothek für linke
Literatur, so dass sich der Infoladen darauf beschränkt, einige
Zeitschriften zu abonnieren sowie Tageszeitungen zu bestimmten politischen
Themen auszuwerten und die ausgeschnittenen Artikel abzuheften. Der Infoladen
schafft sich einen Computer an, ermöglicht den Email-Zugang und schreibt
sich in mehrere Mailinglisten ein (was zu dieser Zeit ziemlich fortschrittlich
war und sich deutlich vom restlichen Mittelalter-Ambiente abhob.)
Auf der gleichen Etage mit dem Infoladen befindet sich im ZORO ein Café;
das wöchentliche
Offene Antifaschistische Plenum findet dort z.B.
statt. Trotz des guten Standorts und der Symbiose mit dem Buchladen ist der
Infoladen, der zweimal die Woche geöffnet hat, kaum besucht. Er wird fast
ausschließlich von den MacherInnen genutzt.
Im Infoladen arbeiten zu diesem Zeitpunkt ca. zehn Personen mit
unterschiedlichen inhaltlichen Interes- sen - analog zu diesen werden die
Ordner mit den Zeitungsausschnitten betreut. Regelmäßig findet ein
Plenum statt. Gearbeitet wird nicht viel im Infoladen; getroffen wird sich
eher, um gemeinsam Café zu trinken, sich über die neuesten
Entwicklungen inner- und außerhalb der Szene auszutauschen oder in den
Mailinglisten zu stöbern. Sehr ausgiebig wird auch der Agentenparanoia
gefrönt: Gegenseitig verdächtigt man sich, AgentIn des
Verfassungsschutzes zu sein.
4 Da kein Geld da ist, kann auch kaum etwas
angeschafft werden.
Die Geschichte
1995 soll das ZORO saniert werden, das Café wird geschlossen - und der
Infoladen muss die Räumlichkeiten verlassen. Da sie sowieso zu klein und
feucht geworden sind, entscheiden sich die MitarbeiterInnen, die Kisten nicht
privat unterzubringen und zu warten, bis das ZORO im neuen Glanz erstrahlt,
sondern gleich im
Conne Island anzufragen. Auf dem ersten Conne
Island-Plenum, zu dem der Infoladen mit seinem Anliegen erscheint, wird er
argwöhnisch beäugt. Viele wissen wahrscheinlich nicht, wozu ein
Infoladen gut sein soll; einige haben Bedenken, weil der Infoladen davor ja im
ZORO gehaust hat - und mit dem ZORO pflegt man eine liebevolle Feindschaft.
Nicht zuletzt glich der Infoladen von 1995 noch mehr einer wertlosen
Altpapiersammlung als heute und insofern ist die Skepsis von damals auch
teilweise zu verstehen. Im Plenum gibt es nur zwei FürsprecherInnen - und
die Anfrage wird halb abgelehnt, halb vertagt. Beim nächsten Plenum jedoch
lässt sich das Conne Island, leicht widerwillig, überrumpeln. So
zieht der Infoladen Mitte 1995 in die 2. Etage in einen Raum ein. Recht schnell
konnte sich der Infoladen jedoch Sympathien im Haus erwerben und ist inzwischen
unverzichtbarer und fest integrierter Bestandteil des Conne Island. Trotzdem
wird der Infoladen nicht nur von der Leipziger Szene, sondern auch vom Conne
Island selbst relativ wenig genutzt oder auch nur wahrgenommen. Bezeichnend
ist, wie viele Leute auch aus dem engeren Conne Island-Umfeld nach Jahren
Mitarbeit im Haus überrascht sind, was es in der 2. Etage so alles gibt,
wenn es sie zufälligerweise nach oben verschlagen hat.
Durch die Trennung vom Buchladen, der nach dem Auszug aus dem ZORO eine Odyssee
durch Leipzig antritt - mit einem kurzen Intermezzo im Infoladen - und
inzwischen als
El Libro5 in der Bornaischen Straße im
Linxxnet-Büro gestrandet ist, steht der Infoladen plötzlich
ohne Bücher da. Deshalb liegt das Hauptaugenmerk auf der
Bücherbeschaffung. Mangels Finanzen werden zum einen linke Verlage
angeschrieben und um Spenden gebeten, was teilweise recht gut klappt und dem
Infoladen viel alten Plunder und Lagerhüter beschert. Andererseits
veranstaltet der Infoladen kollektive Ausflüge in die Buchläden der
Innenstadt, um im gegenseitigen Wettstreit kleine Enteignungsaktionen zugunsten
des Infoladens durchzuführen. Diese anarchistische Phase wird allerdings
schnell überwunden - so dass sie hier, nach Ablauf der
Verjährungsfristen, preisgegeben werden kann.
Lesebude
Im April 1994 wurde übrigens im Conne Island aufgrund im Vorjahr
erhaltener Fördergelder die
LEBUMELA (LEseBUde und MEdienLAden;
heute nur:
Lesebude) gegründet und von einer Person - ebenfalls in
der 2. Etage des Vorderhauses - aus dem Boden gestampft. Der Ansatz ist ein vom
Infoladen abweichender. Neben politischen Büchern soll allgemein
interessante Literatur - »Sach- und Fachbücher bis hin zu
Belletristik, Märchen/Sagen und Comics, gepaart mit einigen Zeitschriften,
die auch über diese Bandbreite gehen sollten und letztlich auch
Tageszeitungen«
6 - zur Verfügung gestellt werden. Daneben will die
LEBUMELA die Medienkompetenz der NutzerInnen stärken und »Fernseh-
und Video-, als auch Computertechnik mit allen Ausweitungen und
Vernetzungen«
7 anbieten. Der Bücherbestand und die für
damalige Verhältnisse avantgardistische Computertechnik wird
hauptsächlich über private Spenden besorgt bzw. finanziert. Die
Lesebude wird später Vertriebspartner des linken Verlags
ID-Archiv
(später
ID Verlag8) und vertreibt neben den Büchern des
Verlages die Zeitschrift
Die Beute. Außerdem werden gelegentlich
Lesungen mit AutorInnen des Verlages veranstaltet. Da die Lesebude täglich
offen hat und über die gemütlichere Sitzecke und die besseren
Computer verfügt, wird sie vor allem von Personen, die nur abhängen,
quatschen, im Internet surfen oder schmökern wollen, mehr frequentiert.
Nach dem Einzug des Infoladens in das Conne Island existieren Lesebude und
Infoladen parallel nebeneinander, sprechen sich allerdings bei der Anschaffung
von Büchern und Zeitschriften untereinander ab. Die Lesebude ist
gleichzeitig das Layoutbüro des Conne Island: Hier entstehen alle Plakate
und Flyer, das
CEE IEH und die Internetseite. Auch die Computerserver
des Conne Island verstauben jahrelang in der Lesebude. Videotechnik, wie im
Jahr 1994 angedacht, wird zwar nicht angeschafft, dafür im Jahr 2000 ein
Multimediarechner, der Videoschnitt ermöglichen soll - für diese
Zwecke aber kaum genutzt wird.
Mit dem Mitte 1999 erfolgten Weggang des Layouters, der die Lesebude aufgebaut
und betrieben hat, werden die politischen Sachbücher der Lesebude in den
Infoladen integriert und der Rest landet im Lauf der Zeit im Papiermüll
bzw. wird der Bibliothek im
G169 übergeben. Inzwischen nutzt der
Infoladen den ehemaligen Raum der Lesebude, der 2005 komplett renoviert wurde,
für die eigenen Materialien. Erhalten geblieben ist die Nutzung der
Lesebude als Computerraum und Treffpunkt.
Zu- und Abgänge
Nicht nur MitarbeiterInnen kommen und gehen - über mehrere Jahre (ca.
1997-2003) kam leider niemand und der Infoladen wird in diesem Zeitraum von nur
zwei Personen betrieben - sondern auch komplette Archivbestände flossen
dem Infoladen zu oder verließen ihn wieder.
Als sich Ende der 90er Jahre
Antifa-Presse-Archiv und das
Infobüro (später:
Antira-Archiv), gründen,
übergibt der Infoladen sein komplettes Material zu den entsprechenden
Themen den zwei neuen Projekten. Als sich diese 2002 bzw. 2001 wieder
auflösten, geht fast der komplette Bestand zurück an den Infoladen.
Beide Archive hatten mit dem Makel zu kämpfen, noch weniger als der
Infoladen bekannt zu sein und außer von den BetreiberInnen kaum genutzt
zu werden. Im Nachhinein hat sich die Weggabe von Infoladenmaterialien als
ungünstig erwiesen, da viele BesucherInnen des Infoladens darüber
verärgert waren, dass sie nun durch die Stadt geschickt wurden, um die
gewünschten Sachen zu bekommen.
Als Einbahnstraße erwies sich die Übernahme des Bücher- und
Zeitschriftenbestandes des ehemaligen
Dritte-Welt-Archivs Leipzig
(vormals im
Haus der Demokratie) und die Abgabe der Ordner mit den
Zeitungsartikeln zum Thema Frauen an die
Frauenbibliothek MONAliesA10 .
Eher selten bringt jemand mal aussortierte Bücher, alte Jahrgänge von
Zeitschriften usw. vorbei - aber auch das kommt vor. Die bedeutendste Schenkung
waren alte Jahrgänge der Zeitschrift
konkret, zurückreichend
bis 1976. Im Schnitt verlassen aber mehr Bücher und Zeitschriften (obwohl
letztere gar nicht verliehen werden) den Infoladen auf Nimmerwiedersehen als er
an Spenden erhält. Lediglich bei Umzügen entdecken manche, dass die
Hälfte ihrer privaten Bibliothek aus Infoladenbüchern besteht -
einige sind dann so mutig, diese zurückzubringen. Über die
Anschaffung von Videoüberwachungstechnik und RFID-Chips für den
Infoladen wird bei jedem Treffen ausgiebig diskutiert, bislang behielten aber
die Technikfeinde die Oberhand.
Dataspace
Wo sich hingegen die TechnikbefürworterInnen durchsetzen konnten,
ist die elektronische Erfassung des Bestandes. Ab 1995 werden Bücher und
Teile der Zeitschriftaufsätze, sortiert nach jeweils nur einem oder zwei
Schlagworten, in eine Textdatei eingegeben. Diese wird 1997 in eine selbst
programmierte Datenbank (in
MS Access) überführt. Bis 2000
werden in dieser Datenbank fast alle Bücher und schon ein Großteil
der Zeitschriftenaufsätze erfasst. Ab 1999 bemüht sich der Infoladen
um eine Veröffentlichung der Datenbank im Internet. Da es geeignete
kostenlose Software zum damaligen Zeitpunkt nicht zu geben scheint, wird
mittels der Open Source-Programme
mySQL und
PHP eine eigene
Online-Datenbank erstellt und der Inhalt aus
Access übernommen. Am
22.12.2000 geht mit Hilfe des linken Internetproviders
nadir in Hamburg
die Datenbank
Dataspace11 online. Seitdem ist der größte Teil
des Infoladenbestands (über 100.000 Datensätze) online
recherchierbar. Dataspace wird monatlich von mehreren tausend Personen benutzt
- d.h. meist von Leuten, die nicht in einen Infoladen kommen und schon gar
nicht in den Leipziger Infoladen. Da etliche Quellen auch im Internet
verfügbar sind und Dataspace dies verzeichnet, verwenden viele Dataspace
als reine Internet-Suchmaschine - mit dem Vorteil, dass alle Datensätze
verschlagwortet sind und das Material zum großen Teil einem linken
Kontext entstammt. Auf Wunsch verschickt der Infoladen aber auch Bücher,
Videos und Kopien von Zeitschriftenaufsätzen in andere Städte.
Dataspace ist unseres Wissens bislang die einzige Online-Datenbank eines
Infoladens. Deshalb können auch andere Infoläden und linke Archive,
die ja oft über die gleichen Zeitschriften wie der Leipziger Infoladen
verfügen, Dataspace zur Recherche im eigenen Bestand nutzen. Inzwischen
nutzen zehn weitere Infoläden und Archive Dataspace für die Erfassung
ihrer eigenen Materialien.
Mit der Erfassung von einzelnen Aufsätzen aus Büchern und den Artikel
in den Zeitschriften ermöglicht Dataspace Suchoptionen, die selbst
professionelle Bibliotheken in der Regel nicht anbieten. Nicht ohne Grund
erhielt Dataspace im Mai 2004 den
Alternativen Medienpreis.12 Die unsägliche Laudatio des Ex-Punkers
padeluun bei der Preisverleihung
verärgerte den Infoladen dann jedoch so, dass danach ein kritischer
Artikel dazu entstand.
13
Vernetzung
In der Geschichte der Infoläden gab es mehrere Vernetzungsbemühungen.
Ab 1988 trafen sich Infoläden europaweit und gaben sogar eine gemeinsame
Zeitung, die
Clash, heraus.
14 Zu Beginn der neunziger Jahre gab es in
der BRD verschiedene Vernetzungstreffen - z.T. fein säuberlich getrennt
nach Ost und West inkl. gegenseitiges Anpissen. Sporadisch besuchte der
Leipziger Infoladen diese.
Ab Anfang 1999 trifft sich halbjährlich das
BILT (bundesweites
Infoladentreffen), an dem sich der Infoladen Leipzig aktiv beteiligt.
Inhaltlichen Debatten gegenüber eher abgeneigt
15, versuchen die
TeilnehmerInnen aus Leipzig eine strukturelle Vernetzung voranzutreiben. So
übernimmt Leipzig die Betreuung der gemeinsamen Internetseite
16, richtet
ein BILT im Conne Island aus und leitet mehrere Arbeitsgruppen. Auch wird
permanent versucht, anderen Infoläden die Teilnahme an Dataspace
schmackhaft zu machen. Leider gibt es auf alle Versuche, die Vernetzung
voranzubringen, kaum Resonanz. Das letzte BILT findet zu Ostern 2001 in Wien
statt. Alles in allem waren es aber schöne Ausflüge und interessant
zu sehen, wie andere Infoläden funktionieren und welchen privilegierten
Status der Infoladen Leipzig schon allein durch die Mietzahlungsfreiheit im
Conne Island hat.
Weitere Geschichte
Ende der neunziger Jahre werden die Räumlichkeiten des Infoladens
von zwei Beratungsstellen genutzt: Zum einen von der
Grünen
Hilfe17 , die bei Anklagen nach dem Betäubungsmittelgesetz hilft; zum
anderen von der
Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und
Militär (Leipzig)
18, eine Beratungsstelle für (totale)
Kriegsdienstverweigerung. Beide Beratungsstellen sind recht gut besucht, das
jeweilige Klientel kann aber in der Regel mit dem Infoladen nicht viel
anfangen. 2003 stellen beide Beratungsstellen ihre Arbeit ein; ihr Material
wird in den Infoladen integriert.
Der Infoladen wird 1999 und 2006 renoviert. Von einem Raum im Conne Island hat
sich der Infoladen offiziell auf drei Räume, inoffiziell auf fünf
Räume ausgebreitet und damit fast die komplette obere Etage in Beschlag
genommen. Eine noch schnellere Expansion konnte nur durch die
»tatkräftige Mithilfe« der NutzerInnen, die ein Teil des
Bestandes in ihre Privatbibliotheken eingliederten, abgewendet werden. Als dann
doch der Infoladen aus allen Nähten zu platzen droht, wird 2002 kurzerhand
der Teil entsorgt, der die meiste Arbeit gemacht hatte - allerdings auch am
seltensten genutzt wurde: Mehrere dutzende Ordner mit Millionen von
Zeitungsartikel, feinsäuberlich sortiert in tausende Rubriken. Dieser
Infoladenteil schien schon deswegen als überflüssig, weil viele
Tageszeitungen inzwischen CD-Roms von ihren alten Jahrgängen herausbringen
oder sogar im Internet verfügbar sind.
Der Infoladen in Zahlen
Der Infoladen verfügt z.Zt.23 über ca. 5000 Bücher, knapp 2000 Broschüren, 100 CD-Roms, ungefähr 1000 Filme, rund 250 Zeitschriftentitel (davon 110 im Abo), d.h. über 6.000 Zeitschriften, ca. 750 Plakate und 400 Aufkleber.
Die Bücher, Filme und CD-Roms sind komplett in Dataspace erfasst, bei den Broschüren ca. 75%. Darüber hinaus verzeichnet Dataspace ungefähr die Hälfte alle Artikel aus den Zeitschriften (z.Zt. knapp 75.000 Artikel) und ein Drittel aller Aufsätze in den Büchern (12.500 Aufsätze).
Jährlich24 werden im Schnitt 1.000 Euro für die Zeitschriftenabos und 3.500 Euro für neue Bücher ausgegeben.
Jedes Jahr25 werden ca. 300 Bücher, 75 Broschüren
und 150 Filme neu angeschafft.
Derzeit arbeiten knapp 10 Personen im Infoladen mit. Die Räumlichkeiten des Infoladen werden täglich von ca. 30 Personen genutzt. Da dies sich aber hauptsächlich auf die Nutzung der Computer
und für Plenas beschränkt, ist die eigentliche
Nutzung viel geringer. Täglich kommt durchschnittlich eine Person vorbei, die das Archiv des Infoladen nutzt. Am meisten genutzt wird das Videoarchiv, gefolgt vom Bücherbestand der Bibliothek. Andere Archivalien werden seltener nachgefragt.
Im Laufe der Zeit entwickelt sich der Infoladen immer mehr zum reinen
Dienstleistungsunternehmen, welches selbst keine politischen Akzente setzt.
Dies unterscheidet den Leipziger von vielen anderen Infoläden, vor allem
in kleineren Städten, wo der Infoladen oft gleichzeitig die einzige
politische Gruppe ist. Die Gründe für diese Entwicklung sind zum
einen die geringe MitarbeiterInnenzahl über viele Jahre hinweg, zum
anderen die große Anzahl von verschiedenen politischen Gruppen in
Leipzig. Erst seit 2006 führt der Infoladen zusammen mit der im Infoladen
angesiedelten
Jugendbildungsinitiative, die durch
Jugend für
Europa gefördert wird, Veranstaltungen im Conne Island und B12
durch.
Der Infoladen finanziert sich von Beginn an hauptsächlich über
Spenden der MitarbeiterInnen. Einmal jährlich wird im Conne Island eine
Benefizdisco veranstaltet. Am 21.06.1996 findet im Conne Island sogar ein
großes Benefizkonzert mit der Band
Tocotronic unter dem Motto
»Freiheit macht arm« u.a. für den Infoladen statt.
19
Ab 1999 geht der Infoladen mit einer eigenen Homepage
20 online - auf der Seite
wird allerdings in den folgenden Jahren nicht viel passieren. Für die
Öffentlichkeitsarbeit werden Plakate und Flyer gedruckt, Anzeigen in
Leipziger Szenezeitschriften geschalten und seit 2006 verfügt der
Infoladen über eine Mailingliste
21, in der über alle Neuigkeiten und
Neuanschaffungen informiert wird. Bei wichtigen Veranstaltungen versucht der
Infoladen mit Infoständen oder Büchertischen (oft in Zusammenarbeit
mit El Libro) präsent zu sein. All das scheint aber nicht viel zu
bewirken, und damit kommen wir zur leidigen...
Sinnfrage
Obwohl der Infoladen Leipzig der berühmteste und beste Infoladen ist, ist
fast jeder Infoladendienst
22 - wenn man sich den Aufwand, der im Infoladen
steckt, vor Augen hält - eine sehr desillusionierende Angelegenheit:
Selten kommt jemand vorbei, der gigantische und gut erschlossene Bestand
versinkt teilweise unter der Staubschicht - und schaut doch mal jemand herein,
will sie oder er in der Regel nur das Passwort für den Computer wissen, um
etwas im Internet zu surfen. Von Plenum zu Plenum machen wir uns mit
Durchhalteparolen Mut, dass es doch irgendwie Sinn machen würde,
herumzusitzen und ab und zu einer Studentin bei der Recherche für die
Hausarbeit und einem Studenten bei der Erstellung des Referats zu helfen.
Aber mal ehrlich: Der Infoladen ist sinnvoll als Raum mit Computertechnik, die
ausgiebig genutzt wird - zu den Stoßzeiten muss man trotz neun Rechner
allein in der oberen Etage des Conne Island anstehen -, und als Plenumsraum
für unzählige Gruppen, die sich untereinander um die Nutzungszeiten
kloppen und uns mit schöner Regelmäßigkeit ihren Müll
hinterlassen. Dass dann aber in den
IKEA-Kellerregalen, Marke
Sten, noch Bücher und Zeitschriften rumstehen, nimmt die Mehrzahl
der Infoladen-BesucherInnen nur als schöne Dekoration wahr. Um so mehr
freuen sich die MitarbeiterInnen über Menschen, die Archiv und Bibliothek
des Infoladens nutzen.
Nicht einmal mehr der Verfassungsschutzbericht, der sonst jeden linken
Aufkleber in der Straßenbahn akribisch beschreibt, erwähnt den
Infoladen. Im 1998er Bericht stand zum letzten Mal drin, dass es einen
Infoladen in Leipzig gibt - mehr fiel dem Verfassungsschutz schon damals nicht
ein. Seitdem wird beharrlich über den Infoladen geschwiegen - und die
Leipziger Szene stimmt bereitwillig ins große Schweigen ein. Während
z.B. die linken Zeitschriften aus Leipzig wenigstens ab und zu über die
anderen Archive (Antifa-Presse-Archiv, MONAliesA z.B.) berichten, ist der
Infoladen noch nie ein Bericht oder ein Interview wert gewesen. Für viele
ist der Infoladen eine Selbstverständlichkeit und ein
Selbstbedienungsladen, dessen Öffnungszeiten konsequent ignoriert werden.
Es soll sich aber an dieser Stelle nicht weiter beklagt werden: Der Infoladen
wird trotz alledem weiterhin Unmengen von Papier horten, dank Dataspace
für wundgetippte Finger sorgen und eine Kompanie von Hausstaubmilben zum
störungsfreien Leben verhelfen.
Anmerkungen
1 Siehe auch
http://de.wikipedia.org/wiki/Infoladen.
2 Ernesti bleibt! Ein Gespräch, in: Frente 03/1993, S. 7-15, Vgl. auch:
Zu den Häuserräumungen in der Ernestistraße, Leipzig am
14.04.1993. Presseerklärung, in: Interim 237/1993, S. 27.
3
http://left-action.de/b12.
4 Das hatte allerdings den realen Hintergrund, dass es damals mehrere
bekannt gewordene Anwerbeversuche und Observationen gegen die
linke Szene in Leipzig gab.
5
http://el-libro.de, siehe auch: El Libro bleibt jetzt (Interview zum
Buchladen und Antifa-Presse-Archiv), in: Klarofix 12/2000, S. 40-43.
6 Die LEseBUde und der MEdienLAden im Conne Island, in: Klarofix
Juni 1994, S. 73.
7 Ebd.
8
http://www.idverlag.com.
9
http://www.gieszer16.org.
10
http://monaliesa.leipzigerinnen.de.
11
http://www.nadir.org/dataspace
12
http://www.alternativer-medienpreis.de.
13 Warum sich Dataspace nicht über eine Auszeichnung freut?,
http://www.nadir.org/nadir/aktuell/2004/06/20/24366.html.
14 siehe:
http://infoladen.net/selbst/s9.htm.
15 Zum einen weil die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Infoläden
- z.B. Antiimp vs. Antideutsch - zu groß sind, zum anderen weil
der Infoladen Leipzig selbst kaum inhaltlich arbeitet.
16
http://www.infoladen.net.
17
http://www.gruene-hilfe.de.
18 Leipzig:
http://www.nadir.org/tkdv (veraltet), bundesweit:
http://www.kampagne.de.
19
http://www.conne-island.de/nf/23/10.html,
http://www.conne-island.de/nf/24/5.html.
20
http://www.nadir.org/infoladen_leipzig.
21
http://lists.conne-island.de/mailman/listinfo/infoladen-newsletter.
22 Dies meint nicht nur Google (
http://www.google.com/Top/World/Deutsch/ Gesellschaft/Politik/ Undogmatische_Linke/Infol%C3%A4den/), wo der Leipziger Infoladen, sortiert nach
PageRank, auf Platz eins landet, sondern auch Bernd Hüttner in
seinem Buch: Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen
sozialen Bewegungen und ihre Bestände, AG Spak, 2003.
23 Juli 2006.
24 seit 1996.
25 seit 1999.