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Klappi
Ein Gefühl von Gleichberechtigung

Ein kleiner persönlicher Erlebnisbericht über die Reaktionsgruppe, die Anfänge des Eiskellers und die ersten Tage des Conne Islands.

Der folgende Text, basierend auf einem Interview mit Klappi, einem Conne Island Mitarbeiter der ersten Generation, ist eine leicht überarbeitete Fassung aus C. Remath/R. Schneider: Haare auf Krawall, Jugendsubkultur in Leipzig, 1980-1991. Er beschreibt die Situation, in der das Conne Island als »Kind der Entwicklungen um die Leipziger Gegenkulturbewegung Ende der Achtziger« geboren wurde und wirft einen Blick auf die damalige Ausgangslage des Eiskellers als selbstverwaltetes Jugendzentrum.

Durch die Reaktionskonzerte ist Leipzig damals einer der besten Spielplätze für Bands aus der Hardcoreszene gewesen. Die haben bei der Tourneeplanung immer richtig acht gegeben, wo sie in Leipzig auftreten. Man hat das auch immer in Fanzines lesen können, dass Reaktion oder der Eiskeller in Leipzig etwas Besonderes darstellen. Es gab zu dieser Zeit hier im Osten nichts Vergleichbares.
    Die anderen Veranstalter waren froh, wenn sie mal eine Band aus dem Westen bringen konnten. Die sind bei der Auswahl nur nach der Musikrichtung gegangen, oder danach, wie es klang. Denen waren die Inhalte der Texte oder das Umfeld, aus dem die Band kam, nicht so wichtig. Wir dagegen haben ganz genaue Unterschiede gemacht zwischen diesen Bands und jenen Bands. Für uns war deren Ruf wichtiger. Man hat damals auf das »Korrekte«, im Sinne von politisch korrekt, geachtet.
    Die Medien haben das alles nicht wahrgenommen. Das war für die nicht interessant genug und außerdem waren die bei der Berichterstattung sowieso immer hinterher.
    Ich hab mich auch gar nicht darum gekümmert, weil ich wusste, dass ich da was Gutes mache.
    Am meisten sind wohl die ersten Konzerte in der Nato in Erinnerung geblieben. Die ersten Einladungsflyer haben wir direkt auf den Montagsdemos vor dem Rathaus verteilt, und das Publikum stammte dann größtenteils aus diesem Umfeld der »Gegendemonstranten«.
    Der Gedanke, bei den Montagsdemonstrationen mit Transparenten und Flugblättern selbst etwas zu machen, kam eigentlich aus dem Mockauer Keller. Mockau war damals sehr familiär. Die Räumlichkeiten ließen gar nicht mehr zu. 1989 war dann einfach die Zeit, aus dem Keller rauszukommen. Man wollte auch mehr Leute erreichen.
    Wir haben dann montags Leute mit unseren Ansichten zusammengebracht und dabei sicher auch einige vom Neuen Forum oder irgendwelche Grüne zu uns abgezogen. Ich habe zum Beispiel einen gesehen, der erst SPD-Plakate verteilte und dann zu uns übergewechselt ist. Aber die Montagsdemos sind dann zu nervend geworden. Es ging immer mehr um Kohle und Reisefreiheit, und das eigentliche Anliegen, im Land etwas zu verändern, verschwand. Es entwickelte sich auch so, dass diese rechten Gruppen immer mehr Einfluss gewannen und es eine Frage der Zeit war, bis es zu richtigen Gewaltausbrüchen kommen würde. Als die dann mit einem Schweigemarsch einen Gedenktag für die Opfer des Stalinismus gemacht haben, also Inhalte in den Vordergrund traten, die mit den eigentlichen Intentionen wenig zu tun hatten, sind wir mit albernen Kostümen und Plakaten losgezogen, die nicht zu sagen hatten außer einem großen Fragezeichen, einfach aus Protest, weil es zu dieser Entwicklung der Demonstrationen gekommen war. Aber damit sind wir wahrscheinlich noch mehr missverstanden worden. Nur ein japanisches Fernsehteam filmte uns permanent. Die dachten sicher, das wäre nun etwas ganz Spektakuläres. Montagelang standen wir unten am Rathaus, der Demozug ging an uns vorbei, und es war zu merken, dass sich immer mehr Leute von uns von dieser großen Demo distanzierten. Das geschah einfach aus Angst, und ich nehme mich da gar nicht aus, denn dieser ganze Pulk war eben auch ganz schön bedrohlich. Am Tag, als Helmut Kohl in Leipzig war, sind Leute auf uns losgegangen, die eigentlich unsere Väter hätten sein können.
    Reaktion war für viele ein Probierfeld. Die Ausgestaltung der Konzerte habe ich so als meinen Part gesehen. Ich habe Transparente mit den Bandnamen gemacht, sogenannte Banner, die dann an der Bühne aufgehangen wurden. Ich kann mich auch noch gut an einen selbstgemachten Plattenladen erinnern oder ein Konzert, bei dem sich besetzte Häuser vorgestellt haben, um ihre Projekte mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Das wurde um diese Zeit gar nicht so angenommen, weil die Mieten einfach noch nicht hoch genug waren. Jetzt wünscht man sich solche preiswerten Wohnalternativen. Imad, der dann wieder aus Westberlin nach Leipzig zurückgekommen war, brachte 1990 seine Connections zu Westbands mit und hat deren Touren über Leipzig geleitet.
    Als Eintrittskarte gab es das Reaktionsheft, wo außer Informationen zu den Bands auch noch Informationen drin standen, warum wir das Konzert außer wegen der Musik noch machen, also was unsere Ansprüche waren und warum wir manche Sachen anders machten als andere Veranstalter. Ich kann mich zum Beispiel an einen Text erinnern, in dem erklärt wurde, wie man stagediving betreibt. Das war vielleicht ein bisschen belehrend und hat sicher auch ein bisschen Spaß genommen, aber es war wiederum auch wichtig, weil es im Konzertraum eine Zeit lang ziemlich extrem zuging und von der Bühne gesprungen wurde, wie jeder wollte. Zumindest unter den Leipzigern hat sich dann schon so eine Art Selbstdisziplin entwickelt, und das hatte halt diesen ansteckenden Charakter.
    Ich erinnere mich auch daran, dass wir immer bewusst die Preise tief gehalten haben, um den Leuten zu zeigen, dass es eben auch anders geht. Obwohl alle unentgeltlich mitgearbeitet haben, war das natürlich schwierig, weil wir für die Saalmiete und die Fahrtkosten der Bands immer Ausgaben hatten.
    Für viele Bands war es natürlich exotisch, hier im Osten zu spielen. Für die war es dann okay, wenn sie mal weniger Gage hatten. Ich merkte auch, dass die Bands unsere Konzerte anders wahrgenommen haben, weil wir uns mehr um sie kümmerten, als das sonst üblich war. Damals haben sie alle privat geschlafen und nicht in irgendwelchen Pensionen oder Hotels wie heute. Als die Spermbirds bei uns zu Gast waren, war es richtig familiär. Denen hat das sehr gefallen, und sie meinten, wenn sie wiederkommen, dann wollen sie wieder bei uns schlafen. Das war für beide Seiten etwas Besonderes. Bei jedem Konzert gab es pro Eintrittskarte fünfzig Pfennig als Spende für irgend etwas. Wenn mal ein paar Leute für aus unserer Sicht korrekte Sachen abgegangen sind oder Geldstrafen bekommen hatten, haben wir denen dann davon etwas zukommen lassen.
    Wozu das Geld jeweils verwendet wurde, stand dann immer in diesem Eintrittsheftchen. Z.B. hatten die Republikaner im Januar 1990 in Leipzig inoffiziell ihren ersten Ost-Kreisverband gegründet, und wir haben das mitbekommen. Die Reps waren in der DDR eigentlich verboten, aber wegen der politisch unklaren Wendesituation kümmerten sich weder die Polizei noch die Medien darum. Da sind dann einige von uns spontan zu dieser Gründungsveranstaltung hingegangen und haben sie gestört. So kam der Fakt überhaupt erst einmal in die Öffentlichkeit. Die Bullen haben uns dann gejagt und auch mit Waffen bedroht. Wegen der Entglasung dieses Versammlungsortes am Listplatz wurden wir dann als die »Störenfriede« hingestellt und haben Ordnungsstrafverfahren bekommen. Reaktion hat sicher deshalb so viele Leute zusammengeführt, weil es für viele so, wie es war, tragbar war. Heute unterscheidet man schon mehr die Leute, die mehr in diese menschliche Richtung gehen, und die, die mehr »nur« Musik oder Kultur machen. Bei Reaktion konnte sich jeder einbringen und hatte zumindest für eine gewisse Zeit das Gefühl der Gleichberechtigung. Der Einlass oder die Leute, die gekehrt haben, hatten nicht das Gefühl, etwas Minderes zu machen als Ray, der auf der Bühne Ansagen gemacht hat, oder Imad, der einfach für die Bands wichtiger war.
    Als wir aus der naTo rausgeflogen sind, haben wir die damaligen Konzertorte abgeklappert. Wir machten ein Konzert im Sack, in so einem ehemaligen FDJ-Kulturhaus. Die wussten wahrscheinlich nicht so richtig, was wir wollten, denn es ging uns ja nur darum, einen Raum zu mieten, und das war's. Den Rest haben wir ja dann alles selber gemacht. So waren wir dann mal im Anker und im Grafikkeller. Das Konzert im Grafikkeller mit Subterranean Kids aus Spanien und Pullermann hat damals die Lisa organisiert. Die hat Kontakt mit den Bands aufgenommen und die nach Leipzig eingeladen. Zur Vorbereitung der Konzerte und zur Arbeit von Reaktion überhaupt traf man sich wöchentlich in einer Wohnung in Plagwitz. Die diente als Büro und Bücherarchiv der VL (Vereinigte Linke). Zu denen sind wir einfach hin und haben gesagt, dass wir einen Raum brauchen, wo wir unsere Reaktionssitzungen machen können. Die VL hat unser Anliegen schon verstanden, aber die hatten mit unseren Konzerten und Massenaufläufen einfach nichts am Hut. Schließlich gab es auch mit denen immer mehr Ärger um Kleinigkeiten.
    Durch diesen ewigen Stress mit den Vermietern entstand immer mehr der Wunsch, ein eigenes Haus zu haben. Wir wollten alles einfach selbst gestalten, sowohl optisch als auch inhaltlich. Es sollte schon ein autonomes Jugendzentrum werden.
    Irgendwann sind wir auf unserer Suche nach Konzertorten dann im Eiskeller gelandet, und als wir erfuhren, dass der verkauft werden sollte, haben wir den im Rathaus für uns verlangt und nach einigen Monaten auch bekommen. Dort wurden die Erfahrungen aus den Reaktionskonzerten übernommen, die Struktur, die Preise und die Form der Bandbetreuung. Der Anspruch sicher auch -
    wobei man sich mit dem Haus dann auch andere Möglichkeiten geschaffen hat. Das Conne Island, wie wir es dann nannten, wurde für viele ein bisschen ein zweites Zuhause. Dort entstand dann alles, was so ein Jugendzentrum eigentlich ausmacht. Es war Konzertort, Ort für politische Gedanken und auch ein Ort einfach nur zum Abhängen oder Partymachen.
    Ich sehe heute noch Leute, für die diese Art, miteinander etwas zu machen, zum Lebenssinn geworden ist. Andere wiederum haben eben nur so mitgemacht. Für viele Leute war es aber auch die Möglichkeit zu sehen, es geht auch noch anders, als auf irgendwelche Dorfdiscos zu fahren und sich die Birne zuzuschütten. Ohne dass die damals mitgemacht haben oder heute irgendwo direkt mitmachen, haben die mal einen Riecher in die Szene bekommen und sind in den Zusammenhängen geblieben. Im Gegensatz zu Dresden zum Beispiel haben wir dadurch eine ganze Szeneentwicklung in Bewegung gesetzt. Reaktion schuf in Leipzig die Ansätze dafür. In anderen Städten gab es solche Ansätze nicht.

C. Remath/R. Schneider: Haare auf Krawall, Jugendsubkultur in Leipzig, 1980-1991, Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1999.
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15jahre.conne-island.de - Broschüre zu 15 Jahre Conne Island - 9. September 2006